Montag, 20. Dezember 2010

Endjahrszeilen

es bleibt spannend. Aus der Ferne beobachte ich die öffentlich ausgetragenen Konflikte um meine Universität, eine durch und durch revisionistische Bildungsreform. Welche Person noch an welcher Stelle sein wird, erfahrt ihr im neuen Jahr. Ich verabschiede mich in die Weihnacht, eine weiße diesmal, die ich hoffentlich noch mit weißerem Strand eintausche in die Ferne, Fernost. Südostasien

In diesem Sinne
besinnliche, rührselige und genussvolle Stunden für den Rest dieses Jahres wünsche ich

Ein Bild aus dem letzten Winter zum Abschluss

Donnerstag, 9. Dezember 2010

leise rieselt der Schnee

es schneit unaufhörlich in der Stadt des seltenen Weiss. War ich am Anfang verstört, weil es meine Heimatgefühle, meine Erinnerungen an früher kaputt machte, bin ich momentan versöhnt. Konstanten finden sich abseits des Weiss.
Keine Unruhe wie sonst, eher das Gefühl eines nach Hausekommens, ich bin versöhnt mit dieser Stadt, die ich die letzten sieben Jahre mein Zuhause nannte, wie eine Löwin verteidigte gegen Andersdenkende und doch bisher nach wenigen Tagen weiterziehen wollte. Etwas ist anders dieses Mal. Als sehne ich mich nach kleinteiligen Strukturen, vielleicht nach Deutschland, nach zuhause, nach dem Weiss, das alle Sehnsüchte unter sich begräbt. Weiss so weiss sind alle Träume, so weiss, dass es mich begräbt und das Hetzen nach dem besseren Leben ohne Weiss, das erst wieder folgt, wenn alles grünt so grünt.

Montag, 29. November 2010

maximal ukrainisch - oder am Rande meiner Normalität

es gibt tatsächlich Leute die bei Google "Zigeunerfluch für Zuhause" eingeben und dann auf dieser Seite landen. Was machen die dann? Dem Ex- schlechten Mundgeruch an den Hals wünschen oder seiner Neuen ewige Kinderlosigkeit oder Cellulite? Noch besser finde ich ja, dass ich das hier alles nachverfolgen kann. Was wird er oder sie wohl gedacht haben, als er auf meine Seite verwiesen wurde? "Mist wieder keine Mengenangaben für Hühnerkrallen oder Kartoffelkäferdung"? Ich provoziere neue abstruse Suchanfragen und wollte doch eigentlich mal wieder eine abstruse ukrainische Geschichte schreiben, aus meinem Alltag aus dem Land, dass mal ein ukrainischer Schriftsteller bei einer Lesung etwa wie folgt für seine deutschen Leser beschrieb: Es gibt für jede Nation eine Realität, die für eine andere Nation längst im Reich der Märchenwelt liegen würde. Was für Ukrainer Normalität ist, also Normalität nicht in dem Sinne, dass Dinge, die sie erleben normal sein sollten, sondern als ihre tatsächlich erlebte Wirklichkeit, ist für Deutsche längst im Reich der Absurdität, des Unmöglichen angesiedelt. Ich wusste lange nicht, was er meint. Mittlerweile verstehe ich seine Bücher, die ich als humoristische Alltagspossen abtat besser. Der Mann weiß, wovon er spricht. Aber wie eine langlährige Ukrainekennerin und Freundin sagen würde: eine "maximal-ukrainische Geschichte" bitte, gut hier sei sie:

Maximal für meine Verhältnisse empfand ich bereits die Fahne des Schaffners, die uns entgegenschlug am Samstagmorgen als er uns vorschlug die Dreischlafwagenkabinen immer schön mit einem Jungen und zwei Mädchen zu besetzen. Dieser Witz eine alte Schlafwagenschaffnerehre, so scheint mir. Beruf ist nicht gleich Berufung. Das war offensichtlich. Denn der Zug war kalt, klar dass nicht der friert, der den ganzen Tag einen bestimmten Pegel hält und der seine Uniform ablegt, sobald die Grenze naht. Als hätten sie ihn drankriegen wollen, für sein Geschmuggel, als wäre je einem Schaffner bei der alltäglichen Fahrt etwas passiert. Ein gutes Geschäft bei einem Preis von 1,50 EURO pro Päckchen Zigaretten in der Ukraine und dem vierfachen in der Bundesrepublik. Seine Kinder muss er schließlich ernähren, so sagen ukrainische Kollegen. Was mit den Kindern anderer geschieht, die die grünen Drogen konsumieren, die die polnischen Zollbeamten weit hinten hinter der Verkleidung einer Heizung hervorziehen? Jeder muss gucken, wo er bleibt in diesen Zeiten. Als wäre das früher anders gewesen. Säcke ziehen sie schwitzend hervor, gefüllt mit Zigarettenstangen, was zurückbleibt, lässt seine Familie trotzdem besser dastehen, als der Durchschnitt. Beweist doch die Bande an Familienmitzug, die fröhlich durch den Waggon zieht mit ihrem Werkzeug und wenn nicht "gearbeitet" wird, in seiner Kabine Entspannung hochprozentig suchen.  So werden noch weit im polnischen Hinterland graue Plastiksäcke über den Gang gezerrt, den Akkuschrauber immer im Ohr. Denn der Zug ist voll, wir fühlen uns wie ein Alibi. Mein Unwillen mein Abteil zu verlassen, wird mit Unverständnis aufgenommen, als würde ich ihn in einer Amtshandlung stören. Ich, wütend, fange an zu streiten, meine Studenten sehen mich an: "aber Jana, das ist so, so ist das hier. Normal ist das. Was sollen wir tun." Meine Wut verpufft, keiner da, der sich ihr stellt, nur Überraschung ob meiner Aufregung. Ein maximal ukrainischer Moment.

Mittwoch, 24. November 2010

zu Abend mit einem Aussenminister a.D.

...war ich neulich, zu spät wie immer, die Vorspeise bereits in vollem Gange, steuere ich direkt auf den Tisch mit bekannten Gesichtern zu, dass es sich hierbei um den Tisch des Ehrengasts des Abends handelt, begreife ich zu spät. Dass er a.D. ist, scheint noch ferne Wirklichkeit zu sein, mit höflichem Desinteresse werde ich ihm vorgestellt und die Audienz ist beendet, ab nun lauschen wir einem Monolog. Gebannt hängen zehn Ohrenpaare an ihm, Zweiergespräche an den anderen Tischen üblich, kommen nicht auf. Keiner will etwas verpassen. Meine haben besonders viel zu tun, ich sitze am entferntesten im ungünstigen Winkel ihm genau gegenüber.

Die Rede zur Lage der Ukraine und der Aufgabe der Europäischen Union wird später von allen im Saal höflich beklatscht, wenig neues, viel plakatives und schablonenartige Forderungen. Das eigentlich interessante sind die Tischgespräche dieses Abends und ich beginne zu zweifeln, ob ich davon kund tun darf, eigentlich ad absurdum nach der Wikileaks Geschichte, was soll ich da noch neues erzählen... Er ist gewohnt zu plaudern, gelangweilt staatstragend zerrt er an seinem Filet während er den zwischenmenschlichen Konflikt von Timoschenko und Juschtschenko erläutert, das Unverständnis und die Resignation zwischen beiden zu vermitteln. Monate habe sie ihn nicht erreichen können als Premierministerin, stur und wesensverändert sei er nach dem Anschlag gewesen, unzugänglich wie einst ein serbischer Staatschef, den er versuchte vom Militäreinsatz abzuhalten, der einen Vergleich deutscher Politiker zur eigenen nationalen Schuld und das unausweichliche deutsche Engagement hervorrief.
Ich werde kryptisch, ich weiss, aber nach dem ich aus aller Herren Länder Zugriffe auf meinen Blog mit den absurdesten Suchworten fand, gehe ich mal lieber mit der Kirche ums Dorf. In jedem Falle ein interessanter Abend mit einem Außenminister, der nun durch europäische Lande tourt, weil er entmachtet ist, einem Forschungsinstitut vorsteht und eine Geschäftigkeit ausstrahlt, die vergessen macht, dass er den ganzen Tag auf der gleichen Konferenz herumsaß wie man selbst. Ein zweites Orange erwartet er auf dem Maydan. Schon formieren sich die Kleinunternehmer gegen die neue Steuergesetzgebung, sogar ein Zeltlager wird aufgebaut.
Es wurde vor einigen Wochen geräumt, der Präsident hat sein Veto eingelegt und die Kleinhändler, werden wieder beruhigt an ihre unterirdischen Stände zurückkehren, wo sie Obst und Kekse mit gutem Erlös feilbieten, während ein Außenminister a.D. durch die europäischen Lande tourt und von den positiven Signalen in seinem Land berichtet und zehrt.

Dienstag, 16. November 2010

Tramwaj-Geschichten

dass es nicht schnell gehen würde, wusste ich, als ich mich gegen den kleinen gelben Maschrutka-Bus entschied, der die gleiche Richtung nahm wie meine Straßenbahn. Aber ich liebe dieses Knattern, das schnelle Anfahren, das Ruckeln über lose gefahrene Schienen und aufgeregte Geklingel, als würde eine Marktfrau über Konkurrenz zetern, wenn sich im Kiewer Nachmittagsstau ein Auto zwischen uns und die Gleise schiebt. Und so nahm ich es in Kauf, dass ich 20 Minuten später erschien als verabredet. Unverschuldet selbstverständlich - wie immer. Denn ich konnte ja schlecht voraussehen, dass meine Fahrerin mit einem Fahrgast erst in Streit geriet, über die Regeln des Zusteigens, wenn doch die eigentliche Haltestelle erst 5 Meter weiter hinten beginnt und sich die kleine Frau mit schelmischem und streitsüchtigen Blick in die Runde umsieht, bevor sie wieder eine kaum zu überhörende Spitze über die Wichtigtuerei der platinblonden Fahrerin loslässt, während ihre Füße angriffslustig knapp über dem Boden baumeln. Böse funkelnde Blicke erntet sie und ein Streit bricht los, der keine Termine, keine Abfahrtspläne kennt und ich muss an den höheren Sinn denken, von dem mir neulich ein deutscher Taiga-Reisender erzählte. Denn den Deutschen geht der Sinn für das Höhere ab, und das ist schlecht für das Kollektiv. Lange, während wir uns langsam einen der sieben Hügel Kiews nach oben in die Stadt schlengeln, denke ich über den Sinn für das Kollektiv bei diesem Zwist nach, während wir an schlafenden Obdachlosen vorbeiknattern, die es sich noch gewärmt von der Novembersonne in den offenen Haltestellen gemütlich gemacht haben; an den alten Babuschki, die auf der Straße die letzten schon vom Frost gezeichneten Astern verkaufen wollen; an den Bauruinen eine neuen Zukunft versprechenden Kiews vorbeiziehen, das der Finanzkrise zum Opfer fiel; am Kinoteatr "Kiewer Rus" (Киевская Рус) vorbei, das überdimensional mit Saal Nummer 3 wirbt, wo man jetzt 3D Kino sehen kann. Kiew, das sympathisch festhängt in der Moderne, rasselt so an mir vorbei, während ich in einer Straßenbahn sitze, die schon in den 70er Jahren nicht mehr als modern galt.
Es fehlt mir schon jetzt, wenn ich daran denke, dass ich demnächst für lange Zeit nach Deutschland aufbreche. Wenn ich wiederkomme, werden die Scheiben mit Eisblumen überzogen sein, die Babuschki und Obdachlosen besseren Zeiten und hoffentlich im Warmen harren und Streitigkeiten auf den Frühling verschoben, wenn die Stadt wieder zu Leben erwacht.

Sonntag, 7. November 2010

Nebel über der Stadt

Sonne satt seit Wochen schon nur abends kriecht er heran und während ich aus meinem Granatapfel die saure Frucht pule, frage ich mich, wie weit die Nachbarn zu mir herübersehen können. Das Rollo oben, 3 Gläser Wein später und ich will nicht. Ich will es nicht herunterziehen, ich will keine Hypothesen mehr entwickeln, nachts wie tags über mein Forschungsdesign sinnieren, genauso wenig wie über das Innovative meiner Arbeit. Ich will nicht mehr. Ich bin nicht leidensfähig. Nein ich bin vergnügungssüchtig und wenn ich dieser Sucht gerade mit mir allein nachgehe, dann wenigstens eine Geschichte dazu:

Vielleicht bilde ich es mir ein, aber über dem Kreshatik hängt eine eigene Stimmung als ich aus der Metro trete, ich sehe: zunächst niemanden. So hatte ich es erwartet. Mir ist merkwürdig feierlich zumute, wie einem Kind an Heiligabend. Was da für Affekte in mir sich ihren Weg nach oben bahnen, frage ich mich noch Tage später. Aber ich bin aufgeregt. Heute ist Tag der Revolution, so habe ich es genannt. Und während später einige Versprengte brüllen werden: "Hier gibt es nur eine Revolution und die ist Orange". Ist die meine heute Rot. Tag der Oktoberrevolution. Der Khreshatik ist in Rot getaucht, so rot, wie ich es nie erwartet hatte und ich begleite diese Schlange aus Fahnen und Wimpeln in betagtem Alter bis zum Maydan, schnell sind sie, diese betagten Kommunisten und sie singen und rufen Hurra, tragen ihre Orden aufrecht und Banner, einige gedenken längst vergessener Generäle und Lenins Komsomolzen Gruppe der Ukraine formiert sich militärisch, bevor sie startet. Eine merkwürdige Luft hängt über diesem Zug. Riecht so in die Jahre gekommene Arbeiterschaft... oder Mottenkugeln, denn die Trenchcoats und Barets sind alt, sehr alt, wie man an ausgebeulten Ellbogen unschwer erkennt, aber sie verraten Würde. Würde die Sache auch in die neue Zeit getragen zu haben, den Glauben daran nicht abgestreift zu haben wie so viele andere. Was werden sie gemacht haben in ihren werktätigen Tagen, frage ich mich bei einigen, die an mir vorbeiziehen. Ist das Nostalgie oder Überzeugung? Armut riecht, sie hängt diesem Zug nach.

Eine Schande ist das, echauffiert sich eine Überzeugte in kaltgewelltem roten Haar: eine Schande hier zu trommeln, wo das Orchester der Kommunistischen Partei unweit ihre Märsche spielt. In rote Leibchen der Partei gehüllt, spielen sie tatsächlich, auch schon in die Jahre gekommen, auch mit abgewetzten Trenchcoats und Baretts. Viele bleiben stehen, sie lächeln. Als die Reden in alter Manier in die Mikrofone gebellt werden, gehe ich, hinaus in meine Zeit.

Mittwoch, 3. November 2010

echtzeit?

Dieses Bild macht mich ganz nachdenklich, ganz stimmungsvoll, weil es eine Stimmung hervorruft, die ich vor 5 Jahren hatte, als ich St. Petersburg und Moskau besuchte, kurz nur, aber trotzdem weckt dieses Bild die Erinnerung daran. Weil das Licht das gleiche war: diffuse Sonne im Herbst, blass, alt, schwach und alte Zeiten herauf beschwörend, dass es mir ganz mulmig wird.

Alte Zeiten beschwöre nicht nur ich mit meinen Bildern herauf. Hier sind sie längst angebrochen. Die ukrainischen Kollegen machen Witze, ob sie seit Sonntag nun in einem totalitären oder autoritären System leben, um sich dann gegenseitig die sechs Merkmale von Totalitarismus abzufragen, wie in einer Prüfung. Sie lachen und ich staune. Denn die Uhren werden zurückgestellt, genau 5 Jahre zurück, wahrscheinlich noch weiter. Die Partei der Regionen hat in den Kommunalwahlen ihre Macht demonstriert, bis ins Zentrum ist sie vorgerückt, alle Bürgermeister großer Städte sind nun blau. Die Mittel dieser Demonstration scheinen nicht integer. Die Opposition schreit nach Wahlfälschung, aber es hört sie niemand. Denn der Rest ist beschäftigt, die neuen Zeichen der Zeit zu verarbeiten, sich zu verarbeiten, anzupassen an die neuen Regeln oder die alten? Die neuen Farben der Macht, orange ist hier nichts mehr, passt ja auch nicht zum Herbst, klar.

Eine kleine Sammlung deutscher Stimmen:

Nico Lange in Die Presse.com: http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/606943/index.do

Konrad Schuller, Die Angst ist zurück, in der FAZ vom 2.Nov.: http://www.faz.net/s/RubDDDF614E9B1C49B682201320840984FF/Doc~E78210BC4E1CB4AA084FC4FCBD6DC9E5E~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Montag, 25. Oktober 2010

aus der Zeit gefallen

umringt mit der Reproduktion meiner selbst, sogar die Steckdosen werden eng, weil sie alle bei Milchkaffee in Mitte surfen. Peinlich - haben auch noch alle das gleiche Modell wie ich... authentischer wäre nur noch Latte gewesen, aber was solls, was drüben die Goldapplikationen auf jedem Kleidungsstück sind, sind hüben die silbernen Äpfel. Ich gehöre wohl unwiederbringlich zu letzteren. Das Mädchen von hier, das seit Tagen nur noch türkisch, arabisch, vietnamesisch und all die wundervollen Dinge seines MultiKulti-Landes isst und mampfend über die hiesigen Debatten und angeblichen Probleme staunt, die so gering sind, dass es nicht mal den Aufreger versteht.
Verstehen tue ich so einiges nicht mehr. Loki ist tot, die Republik trauert. Letztere strotzt vor properer Biederkeit ihrer renovierten Reihenhäuser. Zum ersten Mal fiel mir die akkurate Straßenführung und Parkbankplanung auf, kein Stolpern mehr...  Wenigstens hat die Verwirrung der ersten Tagen nachgelassen. Völlig durcheinander vom Fortschritt des Kopenhagener Flughafens, wo ich aufgeregt war wie beim ersten Flug und nicht wie die nun 27jährige wirkte, sondern eher wie liebliche 17 auf großer Reise, finde ich mich einigermaßen zurecht, doch so müde wie in den ersten Wochen Kiews. In der einen Welt noch nicht angekommen, aber die anderen nicht lassen wollend, nicht könnend, fühle ich mich, wie aus der Zeit gefallen. In Zwischenzeiten.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

found a wallet

Komisch fühlt sie sich an, ganz schmal und leicht, dabei ist alles drin, ausser dem Geld versteht sich. Sie ist meins und doch fremdel ich, mit fremden Fingern durchwühlt und jäh weggeworfen in den Metroschacht, fass ich sie nun mit spitzen Fingern an. Durchwühlt ist sie, sogar den Organspendeausweis haben sie aus der hinterste Ecke gekramt, Telefonnummern, Kinokarten, Kassenzettel, Visitenkarten, ein kleines ukrainisches Leben hat sich in ihr angesammelt.

Dass ich sie wieder habe, ist ein Wunder, alle ukrainischen Freunde schauen sie ungläubig an. Das passiert nie. Geschenke soll ich den netten Damen an der Metrostation dla Tolstogo machen und auch ich fange an, das Wunder zu sehen. Dabei denke ich jetzt, ist es doch natürlich, dass man eine Geldbörse mit allen Papieren und Karten meldet. Hier ist es keins. Es ist ein Wunder. Dass sich Fremde meiner Sache angenommen haben, mich als Ausländerin erkannt und im Goethe-Institut angerufen haben, das wiederum mich anrief. Ich wünsche dieser Stadt und ihren Bewohnern, dass es irgendwann kein Wunder sein wird, sich nicht nur um die eigenen Belange zu kümmern.
Aber vorerst werde ich mit Geschenken aus Deutschland wiederkommen, um das kleine Wunder, das mir geschehen ist, zu verlängern.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Diebesglück

Erfahrung schützt vor Dummheit nicht oder Leichtsinn und so bin ich eben nicht nur mein Portemonnaie losgeworden mit Kreditkarte und Personalausweis, dabei versuche ich nie Englisch oder Deutsch zu reden, nur dieses eine mal, als ich eine alte Bekannte wieder traf...

Er hat mich sogar noch angesehen, und fummelte an seiner Tasche herum, so dachte ich, aber eigentlich war es wohl meine im Getümmel der Mittagsmetro, wo, ich dachte, wir stünden so eng, keine Bewegung möglich wäre. Oft macht der das nicht, so wie er sich anstellte, so nervös wie er war. Aber die Gelegenheit hat er genutzt einmal neben der reichen Ausländerin stehen, Gelegenheit macht Diebe, als er es dann verlor und alle zugriffen, um zu helfen, vielleicht auch etwas vom Kuchen abzubekommen, als die Metro Menschenkörper spuckte in den Maydan, um neue Massen aufzunehmen. Da ging es hin mein Geld und der Rest. Mag es einer Familie ein Mittag bereiten und nicht nur ihm einen guten Suff.

Nun bin ich alles los, auch die kindliche Freude morgen nach Hause zu fahren, ist dem Gefühl einer großen Müdigkeit gewichen, und ich bin froh dem hier für ein paar Tage zu entkommen.

Samstag, 16. Oktober 2010

in Gogols Reich

Mensch braucht Inspiration um zu merken, was fehlt, was antreibt, was glücklich macht. Ganz deutlich habe ich gespürt, was mir fehlt, als ich wieder ankam, eigentlich völlig dahingerafft von der sauerstofflosen Elektritschkafahrt ins Kiewer Hinterland, wo die Wärme des Heizkörpers zu meiner Linken, die Wangen erst rot leuchten und dann die Augen glühend zufallen ließ; aber wieder hier angekommen, vergaß ich die Erschöpfung der letzen Wochen, die kurz in frischer Oktoberluft zum Vorschein kam und das Rad drehte sich wieder in dem ich strample und strample und strample. Hellwach auch ohne Kaffee noch mit glühenden Wangen gab es neue ungeahnte Hindernisse, an die ich nicht im geringsten gedacht hätte und ein allgemeines Sättigungsgefühl stellt sich ein. Satt, so satt bin ich.

Aber eine kurze Reise raus aus dieser Sattheit fühlt sich an wie Wochen. Nizhyn, (ukr. Нiжин und rus. Нежин) geistige Heimat Gogols, Stadt der dunklen Straßen zu Nacht und der weiß getünchten ehemaligen griechischen Kirchen, der puscheligen Katzen, die abends nachdem der Lehrbetrieb an der Gogol-Universität eingestellt ist, die gepolsterten Stühle der Dozenten einnehmen; Stadt der freundlichen Begegnungen mit Ukrainern, die ohne mit der Wimper über das Ausländerkauderwelsch ein Beratungsgespräch über Rot- und Weißwein beginnen als verstünden sie jedes Wort.

Kleinstadt mit gemütlicher Fahrradkultur und einem zum Stehen gekommenen Fluss, eingesperrt in Betonplatten an denen sich die Entengrütze tummelt; für mich wohl immer mit dem tiefsten Blau am Himmel verbunden, das ich in der Ukraine je sah und mit dem bayrischsten Ukrainern überhaupt.

Denn man hatte zu Ehren der Deutschen ein Konzert organisiert, mit J.R. Becher und Schlagern, modernem wie alten und so voller Liebe und Inbrunst gesungen, vorgetragen, getanzt und gespielt, dass es uns rührte. Verewigt im Sprachlabor der Germanistik-Fakultät mit "PFütze, PFennig und PFerd" und mit dem Versprechen nächstes Mal mit einem Lied wiederzukommen, wurden wir verabschiedet von Hunderten von Händen in Schwarz-Rot-Gold, die sich mit uns fotografieren lassen wollten. Soviel Begeisterung für das Land aus dem ich komme, für die Sprache, in der ich hier schreibe, habe ich noch nie gespürt. Ausländer sieht man hier nicht oft, in der Stadt, in der noch immer 85 000 Menschen leben von früheren 100 000;  die meisten davon suchen heutzutage Arbeit in Kiew, denn die einzige Fabrik die noch funktioniert, füllt saure Gurken ab, die anderen sind stillgelegt. Und so scheint nicht nur das kupferrote Wasser aus dem Wasserhahn hier ruhigen, sehr ruhigen Zeiten entgegen zu rinnen.

Sonntag, 10. Oktober 2010

"hübsch hässlich haben sie es hier..."

... dachte ich, als ich auf den Auslöser drückte. Kunst im Müll oder Müll auf der Leinwand? Denn was er malt, hat nichts mit der Realität um ihn herum zu tun. Wolkenlose Stadtansicht in Pastell. Treffend für mein Leben hier. Denn nichts scheint, wie es ist. Oder ist, wie es scheint?

Eine Woche später und ich habe mich noch immer nicht abgeregt, über dieses Aas, an der ich täglich vorbei laufe, der ich ein schönes Wochenende wünsche auf Russisch obwohl offizielle Sprachen der Akademie Ukrainisch und Englisch sind und die mich dann doch wieder auflaufen lässt. Mein Wundern, wie man nur so sein kann, wie man so wird, was solche Menschen hervorbringt, lässt nicht nach, hört einfach nicht auf. Ich brauche keinen Kaffee mehr, muss mich nur an den letzten Sonntag erinnern und schon ist mein Blutdruck ganz weit oben. Eine offizielle Beschwerde wird es nicht geben, weil sie alles abstreitet und ihre Chefs schneller erreicht hat als wir. Ich knurre sie nun täglich hinter meinen Augenliedern an und hauche ein "Dobre" aus dem tiefsten Winkel meiner Kehle hervor.

Dass ich seit 6 Tagen kein warmes Wasser bei durchschnittlich 8 Grad Außentemperatur und vielleicht 10 Grad Innentemperatur habe, mich nachts in meinen Schlafsack einmummele, der Komfort bis 8 Grad verspricht, macht mich zusätzlich etwas sensibel. Aber ich habe einfach keine Lust mehr auf solche Menschen wie sie angewiesen zu sein, mich abzumühen und Geduld und Fassung zu bewahren. Ich habe es so satt, dass Leute, wie sie die Schlüssel verteilen, meinen ihre Macht über andere auszuspielen, die nur darin besteht Schlüssel zu verteilen. Das ist doch absurd. Warum können sie das? Weil wissen, dass die Uhren hier noch nach ganz alten Zeiten schlagen, sie auf diesen Posten sitzen bis in alle Ewigkeit. Es wird noch Generationen geben, die diese Schachtel mit der gleichen Boshaftigkeit ersetzen können und ich fühl mich dem nicht gewachsen. Meine Haut wird dünner von Konflikt zu Konflikt. Leider fehlt mir sogar die Kraft zum Ironisieren momentan, kommt aber sicher wieder.
So satt habe ich es, dass ich mich nicht einmal mehr über die 50 Bewerbungen für meine Studienreise freuen kann, die ein Zeichen für den Erfolg der Fahrt im letzten Jahr sind; oder die traurigen schönen Abschiedsszenen meiner Damen, die heute morgen nach Jena aufbrachen. Die Verbleibenen zwei wollen mir das Kochen ukrainischer Gerichte beibringen, was so süß ist, dass mich das ganz rührt.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Das Wachtor-Syndrom

eine Anomalie im zwischenmenschlichen Verhalten, die vor allem Personen befällt, die völlig sinnentleerten Tätigkeiten nachgehen und sich ihr Leben damit versüßen andere zu schikanieren und zu beleidigen. Besonders häufig in der ehemaligen Sowjetunion anzutreffen, da es hier besonders vielfältige Berufsmöglichkeiten und Betätigungsfelder für solche Personen gibt. Einstellungsvorraussetzung: Geduld (die Tätigkeit ist langatmig und ausdauernd ermüdend simpel), ein gut ausgebildetes Stimmorgan, denn die anzubrüllenden Objekte - denn sie verdienen es nicht Subjekte zu sein - müssen einen ja verstehen und nicht zu vergessen ein Höchstmaß an Stupidität.

Vereint in absoluter Perfektion und Raffinesse in der Schlüssel-Verteilerin meines Hauses, auch Kommandantka genannt, in guten Zeiten auch mal die "Königin der Nacht". Aber ab jetzt ist Schluss mit freundlich. Mein Limit ist erreicht.

Donnerstag, 30. September 2010

Regenmatt

Regenmatt.
Matt regnet es gegen mein Fenster
 - seit Stunden schon. 
Mattsatt vom Regen und der Stadt,
der Stadt im Regen, liege ich im Bett. 
Regenmatt

Sonntag, 26. September 2010

faul(ig)e Sonntage

Diese Stadt ist heiß oder kalt, ich liebe alles oder ich ertrage nichts. Himmelhochjauzend durchwandere ich die Institutska, die schon in Meister und Magarita eine Nebenrolle spielt. Das krisselige Laub der Kastanien, schon vor seiner Zeit braun raschelt zu meinen Füßen und sonnengelb im Septemberlicht. Ab und zu kracht es neben mir. Die besonders schönen tausche ich mit denen aus, die schon seit Tagen meine Jackentaschen verstopfen und weiter geht das Spiel. Kindlich freue ich mich auf das Frühjahr, wenn ich die Winterjacken mit dieser wechsle und einen kleinen schrumpligen Gruß aus dem Vorjahr finde.


Ein fauler Sonntag, den ich mit der ukrainischen Version eines Flohmarktes begonnen habe, dutzende aneinander gereihte Container, in denen echte europäische Ware angepriesen wird, auf Wühltischen, matt, mit trockner Kehle und angewidert wende ich mich bald ab. So schließt sich der Kreis, hier landet das Zeug, das wir aussortieren, schafft wieder Konsum und Arbeitsplätze und wird irgendwann auf die Tische noch ärmerer Länder wandern. Gern würde ich Konsum geißelnde Gespräche führen, aber die Ukrainerin mit der ich unterwegs bin, schaut mich verständnislos an. „Wir haben halt Pech gehabt an diesem Wochenende, die guten Sachen waren schon weg“ und zieht mich zu einem Stand abgelaufener französischer Kosmetik. Zu mir wandert an diesem Sonntag jedenfalls nichts und ich entscheide mich wieder auf meine, die richtige Flussseite zu fahren, wie es die Westler nennen und dabei fühlt es sich so echt an hier, so ist Kiew abseits der Gegenden, in denen ich mich bewege, das eigentliche Kiew. Wo die Armut als Geschäft getarnt ist, wie Herta Müller schreiben würde, wo die Metro ungewohnt gemütlich vorwärts ruckelt, weil die Schienen nicht mehr hergeben, wo eine orthodoxe Nonne singend durch die Waggons zieht, mit einem Papierjesus. Gemeinsam wälzen sie sich durch die Massen dieses Sonntags, die alle auf die richtige Seite der Stadt hinüberwollen.

Ich staune wieder, denn irgendwie ändert sich mein Blick. Ich sehe nicht mehr die alten Metrowaggons, die jedem Gast aus Deutschland einen Kommentar wert sind, ich stolpere schon lange nicht mehr durch die Schlaglöcher dieser Stadt oder ärgere mich über drängelnde schubsende Metrofahrer, die einen besseren Platz ergattern wollen, habe mich an Babuschkis satt gesehen und fotografiert.
In der Sonne suhlt sich ein kleiner Streuner, dass er ganz traurig guckt, dichte ich seinem Blick erst später zu. Denn nicht unweit liegt ein ebenso kleiner wolliger schwarzer Körper, nur dass die Wespen verdächtig zahlreich um ihn summen. Blutverschmiert und leblos liegt er mitten im Zentrum Kiews und ich schaue verstört nach anderen Passanten, die das gleiche fühlen wie ich. Aber sie ziehen unbeteiligt weiter. Der Winter bleibt ihm erspart, tröste ich mich erfolglos.

Die gleiche Straße, das gleiche Licht und doch ertrage ich diese Stadt nicht mehr, deren goldene Sonntagskuppeln aus der Ferne glänzen. Die Stimmung schwappt. Ich kann sie nicht mehr sehen, diese alten müden Gesichter des Ostens, den Schmutz, den Müll zu meiner rechten der von den Massen der immer wiederkehrenden Großveranstaltungen am Wochenende zurückbleibt. Ihr Geruch frisst sich in meine Nase, sie haben sich nicht weit entfernt ins Gebüsch geschlagen, außer Unkraut wächst hier nichts. Die halb zerfallenen Stufen machen mich wütend, wie die schwarzen Jeeps, die zu meiner linken an mir vorbeirauschen. Keinen kümmert dieser Kontrast, dieser Widerspruch, gebückt bewegen sich die meisten vorwärts, schleppen sich, wenig schreckt sie aus ihrer Lethargie. Das Leben als irdische Prüfung. Ich erkenne, dass ich mich hier noch so gut auskennen kann, verstehen kann ich die Regeln dieser Stadt, dieses Landes nicht, bleibe fremd. Der Maydan leuchtet mittlerweile in der Abendsonne unter mir, aber ich kann ihn nur riechen, den Staub, den Dreck, diesen Geruch, den es nur hier gibt. Er heißt Osteuropa und der mich betäubt, wie die Leute die stoisch an mir vorüberziehen. Ich beginne ihn auch an mir zu riechen, so oft ich mir auch die Hände wasche. 

Kein fauler ein fauliger Sonntag unter der Oberfläche der Herbstsonne.

Sonntag, 19. September 2010

Carlos Marx

So werden nicht anderssprachige Philosophen ins Spanische übertragen, erzählt eine in feucht fröhlicher Runde, die zum Ukrainischlernen aus Ankara nach Kiew gekommen ist. Es ist Freitag und ich fühle mich etwas in meine Erasmuszeit versetzt, nur dass es eben nicht mehr meine ist und ich brav vor 12 nach Hause ziehe, weil mir die Rotwein-Cola irgendwie nicht über die Lippen geht. Zeiten ändern sich, abgedroschen aber wahr.
Dabei denke ich an Finnland so oft wie schon lange nicht mehr, als ich gestern statt seiner Exzellenz dem Botschafter der Bundesrepublik und Frau Birthler, die von der Birthler Behörde zu lauschen, mit einer Finnin und ihrem Chef dem Botschafter, seiner Exzellenz aus Finnland erst über deutsch-deutsche Geschichte plauderte, um dann bei finnischen Biersorten, Fährerlebnissen und weitläufigen beschaulichen Städten anzukommen, war ich wieder ganz da. Ich konnte den finnischen Herbst riechen und das Licht am See beschreiben.

Das zweite Jahr wird besser sagten alle, dass es anders ist, kann ich bereits jetzt bejahen. Es ist weniger aufgeregt, weniger anstrengend, auch wenn das Arbeitspensum das gleiche ist. Aber ich kenne meinen Platz besser, meine Möglichkeiten an denen es sich lohnt zu kämpfen und wann es einfach Energieverschwendung ist.
Ich schaue mir mittlerweile russische Filme im Kino an und freue mich über die Unterschiede zu den ukrainischen Untertiteln, beschreibe den Weg zur Metro und schlage mich so durch, auch wenn immer noch gebrochen. Soeben wurde ich als eine "total bitch" bezeichnet und frage mich immer noch was dran ist. War ich eingebildet, mein Desinteresse zu deutlich, ich weiß es nicht. es wird wohl etwas dran sein.

Sonntag, 12. September 2010

Herbstzeit

Manchmal kommt einem ja so manche Entscheidung im Nachhinein besonders bekloppt vor. Aber dass es vielleicht irgendwann einmal Leser dieser Seiten geben könnte, die mich schriftlich auf "Vecna?" ansprechen würden und ich die nach oben gerissene Augenbraue durch den Bildschirm spüren kann, nun das hätte ich ahnen können. Um mich all denen zu erläutern, die es auch schon immer verstanden haben, aber zu höflich waren, um mich darauf aufmerksam zu machen. Wie nennt man sich, wenn man zuvor entweder nach der verdächtigen Bezeichnung der eigenen Straße oder dem Land des letzten Auslandsaufenthalts gegriffen hat aus lauter Kreativlosigkeit, man wählt einen Namen, der sich aus dem ersten Vokabelrepertoire speist. Nur soviel, ich hätte mich auch Gabel nennen können, ähnlich melodisch aber ähnlich bekloppt.

Und sonst? Ich arbeite wieder. Die Geschichten sind eher wieder Momente von Frust im Alltag, von neuen und alten Gesichtern. Etwas Routine, aber keine Langeweile. Das Gefühl der Überforderung ist jedenfalls gewichen und in diesem traumhaften Herbst lässt es sich schwer an die tränenvollen Abschiede von Deutschland denken und noch weniger an den kommenden Winter.
Es wird wohl etwas ruhiger auf diesen Seiten. Denn das Staunen, das mich antreibt, ruht sich im Altbekannten aus - na mal abwarten.

Neulich lernte ich übrigens ukrainische Volkstänze, brachte beim Zählen meine Tanzpartner durcheinander und lachte mich leider meist allein darüber schlapp. Mir fehlt eben die nötige Reife für diese Dinge, in diesem Sinne

Eure J.

Mittwoch, 1. September 2010

Die Zeichen der Macht

Stellen wir uns vor, der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland ehemals Horst Köhler, nun wie hieß er doch gleich... keine Sorge keine Geschichte mit parteipolitisch motivierter Antipathie gegenüber, mir fällt der Name nicht ein,  nun gut...

also von Beginn, stellen wir uns nun also besser vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel bricht zu ihrem Sommerurlaub nach Rügen auf, sie ist ein Sonnenkind, denn mitten im Sommer geboren, gehört sie zu den Glücklichen, die Gartenparties zu ihrem Geburtstag veranstalten können. Sie lädt hierfür aus unterschiedlichen Bereichen der Republik die Crème de la Crème der besseren Gesellschaft ein und sperrt dafür einfach einen halben Tag alle Zufahrtswege von Stralsund nach Bergen, zwingt die Autofahrer nicht nur zum Warten in brütender Julihitze, sondern schickt sie mit ihren Fahrzeugen in den Wald, so dass die Straßen frei sind, wenn die Gäste anrollen. Auf Nachfrage, wie lang das Warten andauern soll, werden die Autofahrer rüde abgekanzelt: "In den Wald. Schnell" Unvorstellbar?

Dann kommt in die Ukraine, seit diesem Jahr ist so etwas hier wieder möglich.

Samstag, 28. August 2010

Zigeunerfluch

Ganz tief sieht sie mit ihren braunen Mandelaugen in die meinen. Ein glitzerndes Kopftuch trägt sie, aus dem Strähnen grauen lockigen Haars hervor blitzen. Ihr Mund ist aus Gold. Sonor redet sie auf mich ein und als ich ihr zwei Hrivna in die Hand drücke, weil es mir mulmig ist, wie sie mir in die Augen sieht und ich will, dass sie geht, fängt sie an mir die Zukunft vorauszusagen.
Unheimlich ist das, neulich habe ich es noch abgelehnt etwas zu geben, weil es die Babuschki an den Treppenaufgängen nötiger haben als die Goldzähne, die auf mich einredeten und handelte mir den Spott Tinis ein, die nicht glauben wollte, dass ich an das Glück der zerbrochenen Porzellans nicht glaube, dafür aber an den Zigeunerfluch, weil ich nichts abgebe von meinem Geld.

Wie dem auch sei, ich habe meine Schuld von neulich beglichen, Humbug hin oder her und höre mir nun meine Zukunft an. Bald soll ich den Mann meines Lebens treffen, sagt sie. zwei Kinder werde ich haben und so glücklich werde ich sein. Eines wird ein Junge, da ich das andere nicht verstehe, schlussfolgere ich, wird es ein Mädchen. Glücklich sehr glücklich, so was sagt sie immerfort und um mein Glück zu steigern, soll ich noch für meinen Begleiter bezahlen, der sich vom Schauspiel abwendet.
Aber vielleicht geht das große Glück ja nicht in Erfüllung, wenn ich es bespreche. Also neulich ist einer Bekannten von mir, etwas ganz Unglaubliches passiert...

A4 Blatt tauglich

Weg will er, einfach nur weg von hier. Sagt einer, der 25 Jahre ist, und der mir gerade auf einem A4 Blatt die politische Situation seines Landes aufgemalt hat. "Was soll ich hier in diesem Land anfangen als Journalist. Ich bin nicht Teil dieses Systems" und zeigt auf die am Rande hingekritzelte Pyramide, das Netz aus Gefälligkeiten, das den einen mit dem anderen verbindet. Er hat es satt nur Geschichten zu machen, die sein Chefredakteur guten politischen Bekannten versprochen hat. Neulich stand schon der Geheimdienst vor der Tür, ein Angebot zur Zusammenarbeit haben sie gemacht. Denn er arbeitet für die Opposition. Wann es aufhört, dass es Angebote sind, weiss er nicht. Derweil träumt er von Australien, aber träumen sieht anders aus. Er würde überall hingehen, wo er frei arbeiten kann, meint er. Australien ist die einfachste Klippe, die es zu erklimmen gilt, hofft er. Vielleicht wird es auch China sein, wo seine Freundin Englisch unterrichten könnte. Mal sehen also, wie lange ich noch Bekannte in Odessa habe.

Donnerstag, 26. August 2010

Seien Sie froh, dass Sie keine Melone sind! Denen ist es grad bei 85 Grad Sandtemperatur noch wärmer zumute"

Wenn schon nicht der Text zum Bild passt, dann muss wenigstens die Überschrift ein Kracher sein.
Leider will der widerspenstige Blog das Bild mit der geblümten Kanne im warmen Abendlicht unserer ukrainischen Traumwohnung nicht hochladen. Die Zeilen sind schon ein paar Tage alt:

Deshalb hier noch einmal:

Abschiedsporzellan

Jetzt sitz ich an diesem Fenster in der Küche mit dem schönen Licht und heule mir ein Stückchen, wie mein Vater sagen würde. Neben mir eine nostalgisches Kaffeekännchen mit Deckel, der sitzt, als wäre die Zuckerdose einzig für den Zweck zur Kanne zu gehören zerschlagen worden. Ich bin schrecklich gerührt von Tinis Abschiedsgeschenk und auch etwas verloren so plötzlich allein in Odessa, so sehr dass der Ticketkauf für die Reise nach Kiew zu einem Sprachdesaster wurde, nur noch bekannt aus sehr frühen Zeiten in der Ukraine, wenn ich einfach nichts aber auch gar nichts verstand. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass mich dieser Kurs in Odessa dermaßen verunsichert hat, dass ich, wenn ich mal etwas sage auf Russisch, mir einen abstottere bei noch so kleinen Sätzen. Fortschritte sehen anders aus. Dass meine vielleicht 5 Jahre ältere Lehrerin vom ganz alten Schlag ist, habe ich immer noch nicht verwunden. Ganz streng mit glitzerndem Haarspängchen hat sie ihr Haar nach hinten getreckt und streng gucken kann sie... Sie hat ihre Rolle, ich die meine, die heißt: aufmüpfige Schülerin, die aus lauter Boshaftigkeit zu spät kommt, weil ihr das Getue und die Empörung wie Öl runtergeht. Dass ich gleich in der ersten Sitzung den Stempel "die lernt das eh nie" weg hatte, macht mich nach 2 Wochen Kampf nicht einmal mal mehr wütend. Dass sie nicht versteht, warum wir so hadern, weil sie zwar als Philologin spitze sein mag, als Sprachlehrerin aber eine Katastrophe, denn sie spricht keine andere Sprachen und hat keine Ahnung, wie schwer russische Grammatik aus der Theorie in die Praxis fließt. Dass wir, nur weil wir uns neben den anderen 30 neuen Vokabeln diese eine vielleicht nicht merken, die sie am nächsten Tag fragt, kommentiert sie mit Augenrollen. "Aber das hatten wir doch gestern". Mal sehen, wann ich wieder Freude am Russischlernen- und sprechen empfinde.

Den Zwicker auf der Nas und Herbst in der Seele

Ein ganz großer Satz! Nur leider nicht von mir und bevor ich mich des Plagiats schuldig mache, hier die Quelle: mein neuer Bekannter Isaak, nachdem ich deutsche Buchhandlungen durchforstete und Gehilfen einstellte, weil er nicht mehr aufgelegt wird. Einer, der in Deutschland vergessen scheint. Dabei schreibt er so schaurig schön vom Bürgerkrieg in den ukrainischen Westgebieten, als die Rote Armee auf Pferden nach Polen vordrang; von dem jüdischen Gaunerleben in Odessa, mit der ihm eigenen Sprache und Wortwitz, auf russisch sicher noch ironischer und zugleich melancholisch. Isaak Babel aus dem Reclam-Heft "So wurde es in Odessa gemacht", der große jüdische Schriftsteller der Stadt, den sie nie losgelassen hat, auch als er längst in Moskau lebte. Die stalinistischen Säuberungen überstand auch eher nicht, als seine Beschützer ihrem eigenen Apparat zum Opfer fielen bzw. mit Gorkis Tod sein natürlicher Schutz fehlte, fiel auch er. Seine letzten Aufzeichnungen wurden verbrannt, so bleiben nur wenige Geschichten über das jüdische Leben in Odessa, das einmal den Charakter dieser Stadt ausmachte. Auch wenn er heute ein anderer sein mag als früher, diese Stadt, die weniger als 300 Jahre alt ist, versprüht einen Charme, dass man den lieben langen Tag in der Morgen- Mittags- Abendsonne herumspazieren möchte, immer in dem Gefühl, dass die nächste Straßenecke noch schöner, der nächste Innenhof, Treppenaufgang, der nächste Moment noch malerischer ist als all die zuvor - dann ist der Herbst in der Seele noch ganz fern. Nur die Stadt selbst, die ist ganz Herbst auch in der Hitze des Augusts.

Dienstag, 24. August 2010

unser Goldjunge!

Da momentan nicht nur 1000 von Vokabeln durch meinen Kopf schwirren, sondern viele kleine Alltagsgeschichten, die es alle wert sind ein eigener Aufhänger zu sein, ich aber einfach nicht weiss: wo anfangen. Ändere ich ab heute die Taktik.
Ein Foto pro Tag und dazu eine Mini-Geschichte, bis ich mich mal wieder etwas gesammelt und sortiert habe.

Nomer Odin:

"Wir suchen den goldenen Lenin, können Sie mir bitte sagen, wo sich der befindet?" - "Wen suchen Sie, Dewuschka, Lenin? Welchen Lenin? - Ich wiederhole ungläubig die Frage "Welchen goldenen Lenin? Wie viele haben Sie denn?" Wir sind mitten auf dem Land eine dreiviertelstunde Maschrutka-Fahrt von Odessa entfernt in einer Stadt ohne Gesicht aber mit Zugang zum Meer; nachdem der Strandtag wegen Überfüllung, Dreck und Lärm eher von mäßigem Erfolg war, müssen wir diesen Ausflug unvergesslich machen und wollen Lenin sehen! Nicht irgendeinen Lenin! Nein, den größten Gold-Lenin der Ukraine. Einsam steht er da und blickt auf seine Allee, auf der nur vereinzelt ein alter Lada vorbeiknattert. Kein Wunder, dass die Kioskbesitzerin bei meiner Frage verwirrt zurückblieb. Nach ihm hatte sicher schon lange keiner mehr gesucht.

Freitag, 20. August 2010

Hinterhofmomente

Vor dem Fenster unseres Balkons an Platanengesäumten Hinterhof, die so dicht stehen, dass das Tageslicht nur in der gezackten Form des Laubs ins Zimmer fällt, heult uns eine Rudel Straßenhunde in den Schlaf. Es ist heiß, selbst die Bettleinen sind eine Qual und der kalte deutsche Sommer scheint schon Jahre hinter uns zu liegen. Dabei sind wir ihm erst vor wenigen Tagen entkommen.

Ich bin zurück und doch in einer völlig anderen Welt als in Kiew... in der Stadt, in der mich die Ukraine vor einem Jahr, glaube ich, zum ersten Mal verzauberte, in der das Licht einen anderen Einfallswinkel zu haben scheint. Ich bin zurück in der Wohnung, in der ich mit Кино (Kino) und 
Виктор Цой (Viktor Zoy) Bekanntschaft machte, zurück in der Stadt auf deren Dächern hochherrschaftlicher Stadthäuser ich saß und Sonnenuntergänge bestaunte, sowohl die einen als die anderen sind längst vergangen. Die Erinnerung daran nicht auch die Verzauberung bleibt. Reicher sind sie nur geworden an Begegnungen, die so vor einem Jahr noch nicht möglich gewesen wären.
Ob ich einen kleinen Jungen habe, fragt sie. Ich verneine. Es muss diese Sonne, der verlängerte Sommer sein, der einen besonderen Menschenschlag schafft. Verschämt antworte ich auf die Frage, warum ich denn nicht verheiratet sei, dass ich so viel arbeite. Dass man sich in Deutschland etwas Zeit lässt mit dem Heiraten, kann ich weder sprachlich noch inhaltlich herüberbringen. Während sie mir tief in die Augen blickt und versucht mich zu ergründen, streichelt sie meine Hand und ich peinlich berührt, werde mir erneut bewusst, was es heißt deutsch zu sein. Wiederkommen soll ich, wenn es mir in ihrem Hinterhof gefällt und beinahe hätte ich sie umarmt zum Abschied so gerührt bin ich von dieser Herzlichkeit, die mich so hilflos macht. 

Montag, 16. August 2010

Tinis Kwastage

Beharrlich antwortet der kleine ewig lächelnde Kellner auf ukrainisch auf meine russische Bestellung, überrascht schauen wir ihn an, als er Tinis Bitte auf deutsch um ein Wasser zu bekommen, sofort mit der Frage nach der Größe kommentiert - auf ukrainisch versteht sich. So gelangt Tini zu ihrem ersten Kwas, der seitdem unser täglicher Begleiter geworden ist auf unserer Reise von Lviv nach Odessa. Das Brotgetränk, das zwar schauderhaft klingt, aber  nicht nur köstlich ist, sondern ich würde meine Vermögen (sehr übersichtlich nach zweimonatiger Einkommenslosigkeit) in Aktien anlegen, würde irgendjemand auf die Idee kommen, es auf dem deutschen Getränkemarkt zu platzieren. Besser als Bionade, gesünder als Afri-Kola und hipper als Club Mate alle mal! Vorausgesetzt, dass Unternehmen würde gleich an der Börse handeln. Na bei so vielen wenn und abers bleibt es wohl dabei: Ich behalte mein Geld bzw. investiere in real-exisiterenden Kwas in der Ukraine.


[...] Diese Reise beginnt mit Zufällen. Naja, dass die halbe Republik versucht ans Schwarze Meer zu gelangen im August, war eine zu berechnende Variable gewesen und somit ist es nicht überraschend, dass wir keine Tickets für die Weiterreise noch am gleichen Abend bekommen. Doch der Zufall will, dass wir in der Lemberger Morgensonne auf das falsche Haus zusteuern, in dem wir ein Hostel wähnen und von einer alten Dame abgefangen werden, die umringt von Plastikstörchen am dritten Stock an ihrem Fenster steht und uns etwas auf Polnisch zuruft. Dass es polnisch ist, erzählt sie uns später als sie uns an der Haustür abholt auf russisch, die meisten Touristen in dieser Stadt kommen aus Polen. Sie heißt Sofia hat die 70 sicher lange überschritten, in einem Pagenschnitt flattern ihr die Chilli-rotgefärbten Haare um den Kopf. Sie lächelt und begrüßt uns im blauen Bademantel, auch wenn es sicher nicht soviel zu lächeln gibt. Nach dem wir einen Blick auf die schlafenden Gäste in beiden Zimmern werfen durften, werden wir uns einig, wir werden ihre Nachfolger. Darauf raucht sie erst einmal eine Begrüßungskippe mit Tini. Es ist morgens 7 Uhr und sie rauchen, das Eis ist gebrochen. Da beide nicht miteinander sprechen können, rauchen sie ab jetzt einfach immer in Eintracht. Ich bin immer zuständig für alle Verhandlungen und dann ruft sie mich mit dieser östlichen Mundart meinen Namen auszusprechen. So als hole sie erste Silbe ganz tief aus der Kehle, als singt sie ihn (leider unmöglich sprachlich nachzumachen, bei Nachfrage, wiederhole ich es einfach. Für alle Jenaer Nachfragen ist Tini zuständig.)

Jede Nacht holt sie sich Fremde ins Haus, alle Zimmer mit Fenster hat sie vermietet und sich selbst hinter einem Vorhang einen Bereich eingerichtet, in dem sie lebt. in diesem Bereich in dem es zu jeder Tageszeit duster ist, hängt an einer Gardine etwas, dass ich nur mit Anstrengung deuten kann. Ich ziehe etwas am Vorhang, in der Angst, dass es jeden Moment auf mich stürzt, aber nichts bewegt sich. Wir einigen uns, dass wir dieses etwas beobachten werden. Es ist auch die folgenden Tage unverändert an seiner Stelle und ich erinnere mich, dass es Glück bringt im russischen Aberglauben Kakerlaken von Haus zu Haus zu bringen. Unsere ist Gott sei Dank aus Plastik und wir entspannen uns. Die echten warten erst in Odessa auf uns.

Sofia, die Verwandte in Rudolstadt hat, schließt uns spätestens nachdem wir ihr Abschiedsdalien, Tee und Süßes schenken ins Herz. Sie bringt uns zum Dank nicht nur an die nächste Straßenbahnhaltestelle, sondern fährt noch eine Station mit uns, küsst uns zum Abschied und wieder ist einer dieser herzlichen ukrainischen Momente, für die es sich lohnt, hier zu sein.

Mittwoch, 11. August 2010

"Bitte beobachten Sie mein Land genau" (Juri Andruchowytsch, 11. August 2010)

Bei 18 Grad Bochum, wo ich nun seit fast zwei Wochen täglich sechs Stunden lang den Untergang der Sowjetunion diskutiere oder die Situation russischer Familien mit der von deutschen in gebrochenem Russisch vergleiche, zum 100sten Mal die gleichen Grammatikfehler mache und nicht selten an meiner Aufnahmefähigkeit sprich Intelligenz zweifle, einem verspannten Nacken und Schlafmangel leide; heißt es, meine baldige Rückkehr in den Osten vorzubereiten. Und das fällt mir offen gesagt noch nicht leicht. Aber ich sollte mich besser schnell an den Gedanken gewöhnen, das stabile Netz nutzen um eine weitere Runde Ukraine anzukündigen. Denn am Samstag sitze ich bereits im Zug von Dresden nach Breslau, von wo es über Lwiw nach Odessa geht um mich und mein Russisch noch etwas weiterzubringen. Ende August werde ich ein weiteres Jahr in Kiew sein.

Wer sich über die ausbleibenden Geschichten per Email gewundert hat, den bitte ich um Verzeihung. Ich habe seit April ein Experiment gestartet und bin unter die Blogger gegangen, (habe dies aber noch mit wenigen ausprobiert), wo ich die kleinen Geschichten des Alltags, meiner Reisen und Eindrücke unterbringe. Ziemlich romantisch in den letzten Sommermonaten vor dem ersten Abschied, wie ich mittlerweile finde. Aber das Klima hat bekanntlich ja Einfluss auf das Wohlbefinden und somit auf die Wahrnehmung und die Sommernächte in Kiew waren so lau, dass es einem schnell romantisch zumute werden konnte. Zwar hat mich ein Abstecher im Juli aus meiner bereits einsetzenden Nostalgie in ein reales Kiew geholt, manche meiner Leidenschaften sind eben von kurzer Lebensdauer, was mir das erneute Ankommen auf jeden Fall erleichtern wird.

Nach einem Artikel aus der heutigen FAZ, wo ein großer zeitgenössischer ukrainischer Schriftsteller im Feuilleton die Leser auffordert, "Beobachten Sie mein Land bitte genau" und mit düsteren Farben die Zukunft der Ukraine unter Janukowitsch in einer stalinistischen Tradition malt und hofft, aus diesem bösen Traum zu erwachen, bin ich besonders auf die politischen Veränderungen der kommenden Zeit gespannt. Ich hoffe, ihr auch und besucht entweder meinen Blog oder vielleicht sogar einmal real mein Zuhause für weitere 10 Monate.

Eure J.

Mittwoch, 21. Juli 2010

Kribbeln... jaja das liebe Kribbeln im: Bein

Nur wenige Stunden in der Stadt und das Kribbeln in den Beinen arbeitet sich langsam aber bestimmt nach oben. Das Sitzen wird schwieriger, der Drehstuhl spielt mit meiner Unruhe. Gemeinsam schwingen wir uns durch diesen Bürotag.
Vor meinem Fenster donnert und blitzt es, passend zur Stimmung. Weiterziehen heißt es, weiter, weiter, weiter. Seit sechs Tagen war ich höchstens 48 Stunden an einem Ort. [...] Denn sie wissen nicht, wo sie hinwollen diese Beine, alles fühlt sich wackelig an, wie der Tritt ins Leere sind diese Tage. Kiew war wabbernd, heiß, verschwitzt, ein wenig abgestanden und schal. Diesig vor meinen Augen, vertraut fremd nach nur vier Wochen Abwesenheit. Nach zwei Tagen schien alles erledigt auch die beginnende Nostalgie. So zogen wir weiter. Meine neue Liebe: Dresden. [...]
Wann hört das irgendwann einmal auf? Vielleicht sollte ich einfach keine Rollen an Bürostühlen haben.

Montag, 12. Juli 2010

wieder am Ort des Geschehens

nein noch nicht aber bald! Freitag genauer gesagt, und nachdem ich eben erfuhr, dass die Auswahl - der Grund meiner Reise - bereits 2 Tage früher und somit ohne mich stattfindet und mein Aufenthalt etwas spät startet, fühlt es sich noch ein wenig mehr nach Betriebsausflug an als eh schon. Nur, dass die Vehikel der Rückreise noch nicht feststehen. Es bleibt abzuwarten, ob ich es am 20. oder 21. wieder nach Berlin schaffe. Soweit der Plan. Momentan muss ich noch feststellen, dass ich mich doch wieder gut in der bekannten und doch fremden Heimat eingelebt habe, nachdem der Muskelkater am Hintern von meinem Sportsattel nachliess, ich mich der Funktionen meiner gesammelten Kräuter wieder erinnerte, mich von der Sprenkleranlage im elterlichen Garten von allen Seiten nass spritzen ließ, da sich heimische Temperaturen den ukrainischen Sommergraden anglichen. Kurz gesagt, ich entdecke immer mehr Parallelen; im Verhalten einzelner Mitmenschen hüben wie drüben und auch im Alltag. Aber dazu mehr, wenn ich mich von meinem letzten Sommerabend im Grünowski gebührend verabschiedet habe, bevor die Fahrt durch deutsche Lande morgen weitergeht.

Mittwoch, 7. Juli 2010

(Fach)-hochschulheimatstadt

So schlimm ist es hier ja gar nicht, dachte ich, als mir eben der Fahrtwind ins Gesicht blies, ich mich beglückwünschte die Brille zu tragen gegen die kleinen Insekten, die in dieser Hitze für sie auch zu später Stunde nicht müde werden mich anzufliegen.  Nur ich und ein Greifvogel der weit über mir seine Runden an einem blauen Julihimmel dreht, bevor die Sonne hinter den Kalkbergen zu meiner Linken verschwand. So schlimm ist es ja gar nicht. Die viel beschriebene Unzufriedenheit ist gewichen, seit dem mein schwarzer Gefährte mit aufgepusteten Reifen und ich mit Kamera durch die alte Heimat streifen, Lindenblüten und Johanneskraut sammelnd und all die Bücher lesend, die seit Monaten ihrer Daseinsberechtigung harren.

[...] Ich sitze in meinem Zimmer vor meiner Agatha Christie Sammlung, die nur 90 cm von mir entfernt steht, denn das Zimmer meiner Jugend ist nicht nur schmal, es ist auch voll. Nicht nur mit den Dingen, die ich hier ließ um sie nie zu vermissen. Alles ist hier, alles was ich besitze und nur selten in meiner Kiewer Zeit schmerzlich entbehre. So ist das also, der kleinen Dinge, die man lieb gewonnen glaubt, erinnert man sich nie. Eine minimalistische Existenz, seit dem mein Rechner stiften gegangen ist, versammle ich gar mein gesammeltes digitales Gedächtnis auf 2 MB.
[...] Ich glaube, ich möchte mich arbeitslos melden.“ So passiv sagte ich diesen Satz, dass die Dame hinter dem Tresen überrascht aufschaut und lächelt. „Aber ich möchte keine Leistungen beziehen.“ Ja das ist eher ein Satz, der nach mir klingt. Die ganze Prozedur eine Farce, meine Betreuerin empfiehlt mir mich doch besser selbst noch einmal einzuloggen in mein Profil, weil sie sich nicht sicher ist, ob sie mich in allen Punkten richtig verstanden hat. „ Also Sie haben studiert? – Einen Abschluss? Haben Sie den etwa auch?“ – „ Ja, natürlich“ – „Aber leider kann ich Ihr Fach nicht finden, wie wird das noch einmal buchstabiert?“ – Gut, dass das nur ein temporärer Zustand ist. Hoffen wir, dass ich auf diese Institution nie angewiesen sein werde. Schlimm nur, dass ich immer so schnell unleidlich werde.
[...] Nordhausen-Hochschulstadt, etwas geflunkert vielleicht, gibt es hier doch erst seit wenigen Jahren eine Fachhochschule. Na, man soll immer ja das Positive herausstellen. Das merke ich mir ab jetzt für zukünftige Bewerbungen.

Montag, 5. Juli 2010

Carrel 446 oder sprachlos in Jena

nun sitze ich hier in Jena, gar in einem dieser kleinen Räumchen, von denen ich dachte, sie nie wieder zu betreten, weil die Erinnerungen der Magistertage nicht die besten sind, aber nein ich sitze hier, die Zeit scheint wie zurückgedreht, ein gutes Jahr zurückgedreht und ich sitz vor diesem Blog und denke, das ist deins?

Als ich ankam, sprach ich wenig, weil das Ankommen wie in Trance verlief. Ein viel zu eng gesteckter Reiseplan ohne Schlaf dafür mit viel Kaffee in dem ich das Fernweh ertränkte, Thesenpapiere ausgedruckt und rein ins Seminar und schon mitten auf dem Universitäts-Sommerfest, wo die Gesichter der letzten sieben Jahre herumsprangen, völlig übernächtigt und vor Erschöpfung hippelig beging ich diese ersten Wochen. Nun ist es ruhiger, die Ruhe macht mich unzufrieden, weil ich sie nicht mehr kenne, weil ich sie noch nie mochte und weil es die Fremdheit noch viel deutlicher spürbar macht.

Als ich ankam, sprach ich wenig, weil ich auch wenig gefragt wurde. Das machte nichts, ich kannte das schon aus Finnland. "Ach du warst weg? Das macht nichts, jetzt bist du ja endlich wieder da."(...) "Nun dein Pony ist kürzer aber sonst?" (...) "Nö, ganz die Alte, etwas müde vielleicht, aber sonst,... schön, dass du wieder da bist. (...)

Als ich ankam, sprach ich wenig, weil ich es nicht konnte. Es erschien so kostbar,  um es mit dem Aussprechen zu entzaubern. Die Geschichten, Gefühle, Begegnungen kann ich nur leidlich teilen. Sie verblassen mit dem Erzählen; wie die Folklore-Bluse, die ich erstand aus 100 ausgesuchten, die nicht sein musste, aber doch dazu gehört, auch wenn ich wiederkomme, ohne Sophia hätte ich sie nie gesucht. Sie entlockte meiner Mutter einen Schrei des Entsetzens und schon wich das Rot des Kreuzstichs wie von Schneewittchens Wangen in meiner Wahrnehmung. Nun verteidige ich sie trotzig, das Rot bleibt weg.

Und so erzähle ich manchmal von der Hitze und den Gewittern, aber sonst? Die Geschichten sind wie weggeblasen aus meinem Kopf, weil das Konservieren eher einem Wegschließen gleicht und ich hoffe, dass sie wiederkommen, wenn ich hier endlich angekommen bin in der mir so fremden vertrauten Welt.

Dienstag, 22. Juni 2010

Pfützen wie Seen

... nimm mich mit auf diese Reise durch das noch im Regen heiße Land; die Pfützen, die Ausmaße von Seen haben, zu den Paaren, die swingen mitten am Kontraktova zu später Stunde. Der Taxifahrer, der die jungen Leute mit Rockn Roll versorgt, sitzt bei offener Tür da wie ein strenger Tanzlehrer zur wöchentlichen Sitzung, der Klavierspieler wurde durch das Radio ersetzt. Wir sind draußen, es ist nachts, es ist warm, die Jungen schwingen ihre federleichten Mädchen um die Pfützen herum. Die letzten Babuschki haben ihre Zigarettenstände längst eingepackt...

... nimm mich mit zu den Plätzen dieses Landes, wo Zelte stehen und Menschen spät nachts noch zusammenkommen, weil sie wissen, dass es dort immer Leben gibt, Sie trinken Tee und anderes, über Tische hinweg kommen sie ins Gespräch auch über Nationalitäten, tanzen zu alten Klassikern, die sie, gleich welche Generation, mitsingen könne; wo auch die Hundegang, die nachts ihre Runden zieht durch den Kiez von niemandem vertrieben wird, sie gehören zum nächtlichen Treiben dazu...

... lasst euch mitnehmen, denn ich komme wieder und teile gern...

Freitag, 18. Juni 2010

Weißweinabende

während ich den Weißwein meiner Mädels der letzten Woche eben aufgeschraubt habe - danke Mädels! - hadere ich mit mir, ob das nun eine gute oder doch eine schlechte Idee ist, den Abend zu Hause zu verbringen, einen Freitagabend zudem, meinen letzten Freitagabend vorerst. Aber vielleicht ja auch nicht die schlechteste Entscheidung nach dem amerikanische Wissenschaftler ja herausgefunden haben, dass der Mensch in den Sommermonaten einen Schlafmangel erleidet, den man nicht mehr aufholen kann. Und zwar nicht weil er zur Vergnügungssucht im Sommer neigt, nein, weil die Zeitumstellung einen Stress für den Biorhythmus auslöst, der uns dick und doof werden lässt. Ich habe mir diese Erläuterung besonders zueigen gemacht und lehne jede nähere Diskussion ab, die vielleicht einen Zusammenhang zu meinem Bierkonsum, Schlafmangel und Hüftgold herstellen könnte. Und weil ich mich nun so schön in Rage geschrieben habe, noch einige Momente der letzten Zeit, die ich gern teilen möchte:

Zum Beispiel den Moment, als ich mit meinen deutschen Mädels absichtlich verstummte, um ja keine Aufmerksamkeit auf dieses ekelhafte bayrische Männerduo zu erregen, sich in unserer Nähe und zudem noch in meiner Lieblingskneipe niederzulassen. Leider vergebens, sie setzen sich beim Anblick unserer weissen Kronen. Und der verzweifelte Blick des Kellners, der wohl bei der Bestellung bemerkt haben musste, dass ich gekonnt alle Fallendungen ignorierte, ließ mich rübergehen und assistieren. Die Herren konnten außer deutsch wenig und schienen sich auch noch darüber zu echaufieren, dass die Karte nur in Kyrillisch zur Verfügung steht., dass auch ich kein Ukrainisch spreche, verstanden sie erst gar nicht. Die Karte war aber nur in ukrainisch zu haben. Dass ich dann auch noch deutsch sprechen konnte, ließ sie vor Überraschung das Menu zuklappen, als könnte ich Ihnen von den Lippen ablesen, was sie wollen. Genau dass scheinen sie hier nämlich zu suchen in diesem Land und bringt mich völlig auf die Palme. Da versucht man Monate lang ein differenziertes Deutschlandbild über "Hitler kaputt" zu vermitteln und dann solche Typen! Dass es sich nicht um normale Touristen handelt, war beim ersten Blick ersichtlich. Als sie mich dann aber noch fragten, was ich hier denn mache und er noch bevor ich antworten konnte, vorschlug, ich wäre Kupplerin, war der Grund ihrer Reise klar! Diese Typen sind auf der Suche nach Frauen und zwar professionell, was sie auch bitter nötig haben, so abstoßend wie sie sich benahmen. Einfach unglaublich. Ich hatte schon oft vom Sex- und Heiratstourismus gehört, aber das war meine erste eigene Begegnung damit. (Das Bild dazu habe ich zufälligerweise am gleichen Tag gemacht)Abgesehen von ukrainischen Mädels, die sich auf ausländische Männer spezialisiert haben und dann empört erzählen, dass er nicht mal den Flug nach Kanada oder die USA zahlen wollte. Nun aber dass ist ein anderes Kapitel vom Geschlechterverständnis, das ich ein andermal öffne.

[...] letzte Woche gab es in Kiew die heißeste Woche im Juni seit Aufzeichnung des Wetters, sage und schreibe 39 Grad sollen letzen Samstag gemessen worden sein. Mein Gefühl würde sagen, die haben recht diese Wetterleute. Es war unglaublich heiß, sogar noch nachts, auch wenn man dann sogar für einem kurzen Moment aufhörte zu schwitzen. Aber nur bis zum Sonnenaufgang gegen 5.00 Uhr.

[...] Wir kriegen neue Fenster im Büro. Das heißt, dass ich im nächsten Winter vielleicht sogar mal länger im Büro verweilen kann ohne Erfrierungserscheinungen und vermindertes Denkvermögen.

[...] Ich werde ab September kein Englisch mehr als Ausweichsprache sprechen sondern Russisch! Soweit der Plan! Ich habe mir sogar schon einen neuen Tandempartner dafür angelacht. Meine Pläne sind ja bekanntlich großartig, einzig die Umsetzung hapert manchmal.

[...] Naja, der letzte Versuch mit meiner krummen Nagelschere einen geraden Pony zu schneiden ist etwas missglückt, die Nachjustierung hat ihn zu einem gemacht, der seinen Namen wirklich verdient: Mikro.
Nebenbei bin ich noch die Wankelmut in Person, werde dazu aber nur Aussagen bei Nachfrage machen...

Soweit mein Weißweinfreitagabend! Prosit...

Dienstag, 15. Juni 2010

Liebhaberstücke

Komische Tage sind das. Komische Begegnungen, komische Begebenheiten, komische Gefühle und Launen, komisches Wetter, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und um, das mir so eigentümliche Grübeln einmal einzustellen, habe ich beschlossen, heute keine kryptische Geschichte zu schreiben, die mir dann hinterher viele Fragen per Email einbringt, wen meinst du, was meinst du, geht es dir auch wirklich gut? Ja es geht mir gut, vielleicht schon etwas zu gut. Aber wie gesagt, heute einmal anders. Ich bin noch genau 7 Tage hier, bevor ich nach Deutschland aufbreche. Wenn ich das nächste mal da sein werde, wird alles etwas anders sein, weswegen ich mir vergegenwärtigen muss, was ich an und in diesem Land eigentlich lieb gewonnen habe und was mir sicher bald fehlen wird:
  1. Morschinska, ein Mineralwasser aus den Karpaten. Wäre nicht das Problem, dass ich es ständig kaufen und tragen muss, weil man kein Leitungswasser trinken kann.
  2. unsere Studentinnen, die wir liebvoll "die Mädels" nennen.
  3. den kleinen Streuner, der immer im Porter rumhängt und jeden vertreibt, der nicht zu seinem Revier gehört. Gott sei Dank haben wir uns angefreundet und ich gehöre wohl zu seiner Gang.
  4. dass ich im Porter und Kupidon als alte Bekannte mit einem Lächeln begrüßt werde
  5. nachts auf dem Balkon anderer Leute mit großer Leidenschaft Blumen zu bespritzen
  6. auf noch anderen Balkonen herumzuhängen, dem Gewitter und den todesmutigen Motten in der gegenüberliegenen Laterne zuzusehen
  7. Limonen-Schokoladen-Softeis, wovon ich an manchen Tagen zwei hintereinander verspeisen kann
  8. nachts um 2 noch im Sommerkleidchen durch die Straßen spazieren und endlich das Gefühl zu haben, dass es sich etwas abkühlt
  9. Pfützenhüpfen im Hitzegewitter
  10. am Wochenende Hochzeitspaare beim Posen fürs Familienalbum zu beobachten
  11. Flashmobs zu denen keiner kommt
  12. Die Pausenhofdisko meiner Uni 
  13. die ruppige Herzlichkeit der Küchenfrauen in der Mensa, wenn sie mir meinen Borsch geben.
  14. grünen und roten Borsch, Salat Olivie und Vinegret, Grapefruitsaft, georgisches und jüdisches Essen, Lvivskie
Mensch diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, ich kann es gar nicht glauben. Man gut, dass ich das alles fortsetzen kann im Herbst! Es darf an dieser Stelle auch nicht verschwiegen werden, dass es auch viele Menschen und Dinge gibt in Deutschland, auf die ich mich ungemein freue. In diesem Sinne auf ein baldiges Wiedersehen nüben und drüben.

Sonntag, 6. Juni 2010

gedankenreich und tatenarm

Genau das bin ich dieser Tage und so verbrachte ich dieses Wochenende, an dem ich seit zwei Wochen zum ersten Mal wieder allein war, ohne professorentaugiche Lokalitäten, geistreiche Gesprächsimpulse setzend in völlig inakzeptablem aber dem Wetter angepassten Aufzug und glücklich wie lang nicht mehr mit mir und meinem Plan im Kopf. Entscheidungen, das große Übel meines Lebens! Denn es ist Sommer in Kiew, die Ablenkung groß und das Samstagsbier vor vier besonders schmackhaft.
So langsam tue ich meine Entscheidung kund und es fühlt sich gut an. Ein Sommer vieler Möglichkeiten.

Einmal ohne Worte

Dienstag, 1. Juni 2010

Kornblumenkiew

Da schaut man drei Sekunden zu lang dem kleinen Mädchen zu, das gerade drei Sträuße tiefen Blaus an den Mann bringen will und der sieht es auch, wie ich so schau und schon ist er, der Strauß in meiner Hand. Schon längst vorbeigezogen an der Gruppe, halbversunken meinen Kollegen zuhörend, und vielleicht einen Moment zu lang gelächelt, habe ich ihn bereits in der Hand. Für die Dewuschka ein Strauß Kornblumen.

Das ist Kiew, das ist Ukraine, einmal zu lang gelächelt und schwupps die Müdigkeit des ganzen Tages vergessend, diese kleinen Momente, die einen erhöhen können genauso wie sie einen herunterholen. Doch heute Abend das Hochgefühl des Abends. Und schon fühlt sich die Entscheidung besser an: Ich bleibe nämlich

Sonntag, 30. Mai 2010

Mein Kabinett der Skurrilitäten

Irgendwann bewegt man sich in einer Stadt, als erwarte man nichts Unerwartetes mehr und schon bleibt sie Zuhaus, die sonst so lästige Kamera, die einen in Momenten wie heute Abend schmerzlich fehlt. Aber was hätte ich da gezeigt: ein Kiew, das von meinem Retro-Eindruck, mit seinen rostenden Autos und ihren Besitzern aus den 70ern, seinen Kopftuchtragenden Babuschki und streunenden Kötern, das ich vermittele, vielleicht so gar nicht existiert, sondern nur in meinem Kabinett der osteuropäischen Skurrilitäten.

Denn das Kiew von heute Abend, war ein Sammelsurium schöner junger Menschen, dass man auch in Berlin Warschauer Straße oder am Kottbusser Tor findet. Heute Abend strahlte jeder um die Wette noch dollerer Individualität, auch wenn die Quote der "RayBan" Träger überdurchschnittlich hoch war. Die Uniformen von heute sind eben andere.
Da taucht man mit silberner Plastikmaschinenpistole und Lederpeitsche auf, weil der Veranstalter ausdrücklich gebeten hat auf Waffen zu verzichten um britischen Bands unter Sternenhimmel zu lauschen, nur selten unterbrochen vom Geläut, das aus dem Klosterkomplex von neben an hinüberläutet. Löcher im Boden von Ausstellungsräumen werden da schlichtweg in die Installationen eingebaut und werten so zum Teil eher tröge Bilder auf. Künstlerinnen verkaufen ihren Haarschmuck an verrückte Neureiche und Westlerinnen, die sich später am Abend zuhaus vorm Spiegel fragen, wann soll ich dieses Teil je tragen?[...]

Plötzlich erscheint Kiew in einem anderen Licht. Schön, dass es eben auch zum Ankommen gehört, mehrdimensional zu sehen und nicht immer den eigenen Stereotypen im Kopf hinterherzurennen.
Und so reihte ich mich ein an diesem Abend mit meinem RayBan Verschnitt, an dem es hieß "I love Kiev" um mir später am Abend vor meinem Spiegel die Frage zu stellen: Wann soll ich dieses Teil je tragen?

Freitag, 28. Mai 2010

Eine Stadt feiert sich selbst











und ich geh nicht hin. Warum? Weil es mich stresst zwischen schon am Nachmittag völlig betrunkenem Volk zu stehen, das sich beschallen lässt von überdimensionierten Bässen und Werbeständen für Mobiltelefone und Exportbier, das in einem Meer von Scherben ekstatisch tanzt, trotz offenem Alkoholverbot auf den Strassen. Nun Glas klirrt auch in Papierbeutelchen.

Waren Sie beim Kiew Fest? Ja, nun ja, als ich mich im Supermarkt an den Bierkäufern vorbeipresste vielleicht ein wenig; als mich das Taxi direkt um die Massenveranstaltungen vorbeifuhr vielleicht auch etwas. Nein, eigentlich war ich es nicht und vermisste das klassische Wochenende in Podol, wenn der wöchentliche Dauerstau abflaut und einen wieder atmen lässt, zur Zeit Lindenluft, aber eben nur am Wochenende, wenn das Tal am Fluss wieder Luft bekommt. Stattdessen schien ich die Einzige zu sein, die den Stadtteil freiwillig verließ in fernere Gegenden, während der Rest der Stadt zu den eilig aufgebauten Bühnen strebte.[...]

Wie Diven fühlten wir uns in diesem lauen Freitag bei der Fahrt durch die Kiewer Nacht, wenn jeder zweite Blick in das gegenüber im Stau stehende Auto ein kurzer Flirt wird, vorbei an den angestrahlten Denkmälern der Stadt, während unser Fahrer vor sich hinmüffelt mit ukrainischen Diskorhythmen im Anschlag, um für drei Lieder zu Balkanklängen zu tanzen und schon wieder im Taxi zu verschwinden zum nächsten Ort - so feiern wir uns selbst, etwas Wehmut immer im Gepäck mit dabei in diesem beginnenden Sommer.

Mittwoch, 26. Mai 2010

SCHREIBSTREIK


hiermit beschlossen und veröffentlicht! Ich verweigere das Schreiben bis zum ersten Kommentar! So geht das wirklich nicht weiter, mich erst zum Schreiben anstiften und dann den Diskurs verweigern, damit ist ab heute Nacht Schluss! Jawohl, ich trete in Schreibstreik!

J. in Streik!

Montag, 24. Mai 2010

Ein Gespenst geht um namens Melancholie

Mit den Besuchen aus Deutschland, die mir das merkwürdige Gefühl vermitteln, ich würde hier meine Stadt präsentieren und vielleicht ist sie das auch nach neun Monaten ein ganz klein wenig, kam sie klamm heimlich mitangereist.
Wenn ich an der alten Babuschka vorbeiziehe, die tageintagaus mit ihrer vielköpfigen muffelnden Hundebande am Fuße des Andreasstieg hockt und um Almosen bittet, komme ich mir vor, als begegne ich einer alten Bekannten. Vorbei an den Ständen mit Ukraine-Nippes, Weltkriegsaccesoires und häkelnden alten Damen, die bei Wind und Wetter ihre Ware feilbieten; immer den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht in einem der großen Schlaglöcher zu versinken, vorbei an meinem gelben Lieblingsladakombi, dann kann ich mir kaum vorstellen, hier irgendwann nicht mehr vorbeizulaufen. Noch vertage ich den Kauf von Erinnerungsstücken und Mitbringseln immer wieder nach hinten, denn die liebe Zeit ist ja noch so lang! Aber ist sie es?

Um mich herum ist Aufbruch, ob es auch einer für mich wird, habe ich noch immer nicht entschieden. Irgendwann denke ich, werde ich es wissen, einfach so und es wird das richtige Gefühl und die dazugehörige Entscheidung sein. Hierfür sind es noch genau vier Wochen und das Verschieben von Gastgeschenken, des Besuchs im Bulgakov Museum, im Museum für zeitgenössische russische Kunst und des riesigen Buchmarktes in Petrivka zeigen wohl eine Tendenz an. Wenn ich auf dem Markt in strahlend goldene Zähne blicke, die mir noch mehr Äpfel, Sonnenblumenkerne oder Petersilie verkaufen wollen; wenn ich von der Kioskbesitzerin lachend auf meine schlechte Betonung hingewiesen werde, oder mal wieder zu schnell durch die Metrotore schlüpfen will und die Schranken krachend vor mir einrasten; wenn ich in erstaunte Gesichter neben mir blicke, weil ich die Rolltreppe laufend genauso schnell nach oben strebe wie meine rollenden Nachbarn; wenn ich die alte aber adrette Opernsängerin an der Maydan-Unterführung ihre ernsthaften Lieder trällern höre mit einem Plastikbecher vor sich aufgebaut; dann habe ich das Gefühl, noch mehr Zeit zu brauchen, um das hier alles besser zu verstehen, dieses Land, die Leute und ihre Regeln. Mehr Zeit um mich zu wehren gegen die Kommandantka meines Gästehauses, wenn sie mich wieder einmal mit Missachtung straft, gegen die Wachen, die noch nie im Leben eine andere Sprache erlernt haben und nicht ahnen können, wie schwer es fällt, über die fünf auswendig gelernten Sätze hinaus ein Gespräch aufrechtzuerhalten, wenn doch das Gefühl für diese Sprache sich so langsam einstellt. Mehr Zeit um mich mehr um mich und die neuen Freunde zu kümmern.

Mindestens fünf Jahre muss man für diese Stadt arbeiten, wurde mir kürzlich berichtet, bevor sich die Anstrengungen auszahlen und die Stadt für einen arbeitet. Ich denke nicht, dass ich soviel Zeit brauche und ob diese Regel auch für mich als Ausländerin gilt, die trotzallem in ihrer Luftblase von Ausländerbekanntschaften und Zentrumsquartier und deutschen Presseschau lebt, nun ja wir werden sehen.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Eintagsfliegen

Nun bei einer Postsammlung von drei Einträgen kann man bereits von einer Kontinuität und Etabliertheit eines Blogs sprechen, wurden meine Geschichten gestern analysiert ... gut, dann erhöhen wir hiermit die Quote.
Meine Reiseflut wurde von einer Besuchsflut abgelöst, meine eintägige Pause nutze ich nun und schreibe. Ich bin überrascht, wie sehr "meine Augen" sich an die Ukraine gewöhnt haben, dass ich über die Beobachtungen meiner Gäste, über die kleinen Unterschiede zum eigenen Land ganz erstaunt bin und mich dann erinnere, dass es mir vor fast 9 Monaten ähnlich ging, es aber nun so sehr zu meinem Alltag gehört, dass ich darüber nicht mehr überrascht bin.
Ich habe gar kleine Angewohnheiten übernommen, Semitschki (gegrillte Sonnenblumenkerne mit Spelzen drumherum, mit denen man eine riesen Schweinerei im öffentlichen Parkbankbild veranstalten kann) esse ich seit neuestem am liebsten auf der Parkbank. Warten wir ab, wann ich beginne auch HUGO BOSS - kürzlich entdeckte ich auch eine HUGO BOOS Tüte - Plastiktüten zu erstehen, um mit meinen 7 Sachen durch die Strassen zu ziehen.
Diese Taschen sind für mich ein osteuropäisches Phänomen (ich dachte lange Zeit es wäre ein genuin ukrainisches, sie wurden aber auch in Russland gesichtet), denn man sieht mindestens drei davon am Tag, an Bahnhöfen Tendenz steigend. Nun also ein osteuropäisches Phänomen: Häufig sind Damentaschen hier so unpraktikabel klein, dass die alltäglichen Dinge anderweitig transportiert werden müssen. Hierzu gibt es in den unterirdischen legendären Metrokaufhäusern, die ein Eigeneleben führen, aber dazu ein andermal mehr, eigene Verkaufsstände, die sich auf diese Reichtum und Prestige versprechenden Taschen spezialisiert haben. Ein Stand an dem es Plastiktüten zu kaufen gibt. Schon für diese kleinen Eigenheiten lohnt sich ein Besuch, leider nicht bei mir - bin bis Ende Juni ausgebucht.

Samstag, 8. Mai 2010

Zwei Rubel für ein Bier (Krim II)

„Haben Sie zwei Rubel“ fragt die Kioskbesitzerin, als Sie mir das Wechselgeld fürs Bier herausgibt, mein entgeisterter Blick entgeht ihr. Schob ich es das letzte Mal noch auf mein schlechtes Russisch, bin ich dieses Mal ganz sicher: Sie fragt nach Rubeln und nicht nach Hriwna der ukrainischen Währung, die auch in Sevastopol gängiges Zahlungsmittel ist. Diese kleine Begegnung ist nur Ausdruck eines Gefühls, das einen die ganze Zeit auf der Krim beschleicht, schon beim Besteigen des Zuges nach Sevastopol beginnt und sich bei jeder neuen Runde der Sevastopol Hymne verstärkt, die Krim mag vieles sein, dass sie auch ukrainisch ist, lässt sich 20 Stunden Zugfahrt fern von Kiew nur noch schwer vorstellen.

Während in Kiew die Oppositionsparteien glauben machen wollen, eine neue Protestbewegung ins Leben rufen zu können, die sie und das Land eint, um eigentlich neue Gräben aufzumachen, bereitet sich Sevastopol auf die kommende Urlaubssaison und die Parade zum 9. Mai, dem 65. Jahrestag des Sieges des Großen Vaterländischen Krieges vor. Denn die Hafenstadt mit stalinistischer Prachtstraße in weiß ist eine Heldenstadt, mit Stalingrad und Moskau wird sie genannt. Überall hängen Plakate an diesem ersten Maiwochenende, an dem es uns auf die Krim zieht. Die Siegesschleife orange-schwarz gestreift schmückt schon seit Wochen Damentaschen, Rückspiegel und Autotüren. Aber dass Tausende vor Kiews Parlament demonstrieren, dass es zu Ausschreitungen kommt, im Parlament Eier und Rauchbomben fliegen wegen der Flotte und der Stadt, davon merkt man hier nichts, wo es nur einmal Ärger gibt, als ich zu leger die Füße auf einer frisch gestrichenen Museumsbank ablege.[…]

Es ist eine stolze Stadt, mehrfach begegnen wir Sevastopolern, die uns musikalisch unterstützt durch die Hintergrundmelodie ihres Handys den Sevastopol-Walzer schmettern, singen träfe es nicht, nein sie schmettern ihn in einer Leidenschaft, die mich peinlich darin erinnern lässt, wie im letzten Jahr ein ukrainischer Alumni die Hymne „in Jene lebt sichs bene“ anstimmte und keiner der 20 Anwesenden einstimmen konnte, alles Jenaer und Jenenser ihres Zeichens. Sogar die Promenaden-Band wird für uns engagiert um den gerade erst gewonnenen deutschen Freunden die Hymne vorzutragen.[…]

Überall sieht man Matrosen, zum abendlichen Promenieren gestatten sie sich ein Eis, bevor sie in Reih und Glied in die Kaserne abmarschieren und sehnsüchtig den Mädchen am Kai nachsehen. Aber militärisch durchorganisiert ist an diesem Wochenende nur die Schlössertour an der Südküste Krims mit Fotostopp und geführtem Toilettenbesuch. Die Schönheit des englischen und französischen Stils bleibt mir Barbarin verborgen, dass ich den Stuck und Sonnenhof im Schloss nicht zu wertschätzen weiß, an der die Neuaufteilung der Welt nach dem 2. Weltkrieg stattfand, nimmt unsere Führerin gekränkt hin. Wir sind sicher nicht die ersten unkultivierten Ausländer, die lieber historische Fakten als Legenden der Zarenfamilie hörten und das possieren am Treppengeländer oder neben Stalins Unterschrift dankend ablehnen. […]
„Wo arbeiten Sie“, werde ich gefragt, „an der Kiew Mohyla Akademie?- Alles Propaganda dort“, dass die eigene Argumentation über die Abstammung der Slawen nicht ganz astrein ist, stört nicht, es geht auch nicht darum in ein Gespräch zu kommen, Argumente auszutauschen und sich für anderen Ansichten zu interessieren, eher wird die eigene Meinung lautstark vertreten. Sie soll provozieren, tut sie aber nicht, denn ich stehe diesem innernationalen Konflikt emotionslos gegenüber und so verlaufen die Provokationen zur Abspaltung der Krim ins Leere, zur These der mordenden Ukrainer an der polnischen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg oder Unkultiviertheit der ukrainischen Sprache, ganz zu schweigen vom ukrainischen Ursprungsland, das ein Minimum des heutigen Territoriums sei.

Der Versuch diesen Gesprächen zu entkommen, ist schwierig. Alle wollen den deutschen Gästen ihre Sicht der Dinge auf Kiew und die Weltpolitik, mindestens die russisch-ukrainischen Beziehungen an diesem sonnigen Montag, an der Bucht im traumhaften Balaklawa preisgeben, der mit Schaschlik und Sonnenbad so geschichtslos friedlich sein könnte.[…]