Samstag, 28. August 2010

Zigeunerfluch

Ganz tief sieht sie mit ihren braunen Mandelaugen in die meinen. Ein glitzerndes Kopftuch trägt sie, aus dem Strähnen grauen lockigen Haars hervor blitzen. Ihr Mund ist aus Gold. Sonor redet sie auf mich ein und als ich ihr zwei Hrivna in die Hand drücke, weil es mir mulmig ist, wie sie mir in die Augen sieht und ich will, dass sie geht, fängt sie an mir die Zukunft vorauszusagen.
Unheimlich ist das, neulich habe ich es noch abgelehnt etwas zu geben, weil es die Babuschki an den Treppenaufgängen nötiger haben als die Goldzähne, die auf mich einredeten und handelte mir den Spott Tinis ein, die nicht glauben wollte, dass ich an das Glück der zerbrochenen Porzellans nicht glaube, dafür aber an den Zigeunerfluch, weil ich nichts abgebe von meinem Geld.

Wie dem auch sei, ich habe meine Schuld von neulich beglichen, Humbug hin oder her und höre mir nun meine Zukunft an. Bald soll ich den Mann meines Lebens treffen, sagt sie. zwei Kinder werde ich haben und so glücklich werde ich sein. Eines wird ein Junge, da ich das andere nicht verstehe, schlussfolgere ich, wird es ein Mädchen. Glücklich sehr glücklich, so was sagt sie immerfort und um mein Glück zu steigern, soll ich noch für meinen Begleiter bezahlen, der sich vom Schauspiel abwendet.
Aber vielleicht geht das große Glück ja nicht in Erfüllung, wenn ich es bespreche. Also neulich ist einer Bekannten von mir, etwas ganz Unglaubliches passiert...

A4 Blatt tauglich

Weg will er, einfach nur weg von hier. Sagt einer, der 25 Jahre ist, und der mir gerade auf einem A4 Blatt die politische Situation seines Landes aufgemalt hat. "Was soll ich hier in diesem Land anfangen als Journalist. Ich bin nicht Teil dieses Systems" und zeigt auf die am Rande hingekritzelte Pyramide, das Netz aus Gefälligkeiten, das den einen mit dem anderen verbindet. Er hat es satt nur Geschichten zu machen, die sein Chefredakteur guten politischen Bekannten versprochen hat. Neulich stand schon der Geheimdienst vor der Tür, ein Angebot zur Zusammenarbeit haben sie gemacht. Denn er arbeitet für die Opposition. Wann es aufhört, dass es Angebote sind, weiss er nicht. Derweil träumt er von Australien, aber träumen sieht anders aus. Er würde überall hingehen, wo er frei arbeiten kann, meint er. Australien ist die einfachste Klippe, die es zu erklimmen gilt, hofft er. Vielleicht wird es auch China sein, wo seine Freundin Englisch unterrichten könnte. Mal sehen also, wie lange ich noch Bekannte in Odessa habe.

Donnerstag, 26. August 2010

Seien Sie froh, dass Sie keine Melone sind! Denen ist es grad bei 85 Grad Sandtemperatur noch wärmer zumute"

Wenn schon nicht der Text zum Bild passt, dann muss wenigstens die Überschrift ein Kracher sein.
Leider will der widerspenstige Blog das Bild mit der geblümten Kanne im warmen Abendlicht unserer ukrainischen Traumwohnung nicht hochladen. Die Zeilen sind schon ein paar Tage alt:

Deshalb hier noch einmal:

Abschiedsporzellan

Jetzt sitz ich an diesem Fenster in der Küche mit dem schönen Licht und heule mir ein Stückchen, wie mein Vater sagen würde. Neben mir eine nostalgisches Kaffeekännchen mit Deckel, der sitzt, als wäre die Zuckerdose einzig für den Zweck zur Kanne zu gehören zerschlagen worden. Ich bin schrecklich gerührt von Tinis Abschiedsgeschenk und auch etwas verloren so plötzlich allein in Odessa, so sehr dass der Ticketkauf für die Reise nach Kiew zu einem Sprachdesaster wurde, nur noch bekannt aus sehr frühen Zeiten in der Ukraine, wenn ich einfach nichts aber auch gar nichts verstand. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass mich dieser Kurs in Odessa dermaßen verunsichert hat, dass ich, wenn ich mal etwas sage auf Russisch, mir einen abstottere bei noch so kleinen Sätzen. Fortschritte sehen anders aus. Dass meine vielleicht 5 Jahre ältere Lehrerin vom ganz alten Schlag ist, habe ich immer noch nicht verwunden. Ganz streng mit glitzerndem Haarspängchen hat sie ihr Haar nach hinten getreckt und streng gucken kann sie... Sie hat ihre Rolle, ich die meine, die heißt: aufmüpfige Schülerin, die aus lauter Boshaftigkeit zu spät kommt, weil ihr das Getue und die Empörung wie Öl runtergeht. Dass ich gleich in der ersten Sitzung den Stempel "die lernt das eh nie" weg hatte, macht mich nach 2 Wochen Kampf nicht einmal mal mehr wütend. Dass sie nicht versteht, warum wir so hadern, weil sie zwar als Philologin spitze sein mag, als Sprachlehrerin aber eine Katastrophe, denn sie spricht keine andere Sprachen und hat keine Ahnung, wie schwer russische Grammatik aus der Theorie in die Praxis fließt. Dass wir, nur weil wir uns neben den anderen 30 neuen Vokabeln diese eine vielleicht nicht merken, die sie am nächsten Tag fragt, kommentiert sie mit Augenrollen. "Aber das hatten wir doch gestern". Mal sehen, wann ich wieder Freude am Russischlernen- und sprechen empfinde.

Den Zwicker auf der Nas und Herbst in der Seele

Ein ganz großer Satz! Nur leider nicht von mir und bevor ich mich des Plagiats schuldig mache, hier die Quelle: mein neuer Bekannter Isaak, nachdem ich deutsche Buchhandlungen durchforstete und Gehilfen einstellte, weil er nicht mehr aufgelegt wird. Einer, der in Deutschland vergessen scheint. Dabei schreibt er so schaurig schön vom Bürgerkrieg in den ukrainischen Westgebieten, als die Rote Armee auf Pferden nach Polen vordrang; von dem jüdischen Gaunerleben in Odessa, mit der ihm eigenen Sprache und Wortwitz, auf russisch sicher noch ironischer und zugleich melancholisch. Isaak Babel aus dem Reclam-Heft "So wurde es in Odessa gemacht", der große jüdische Schriftsteller der Stadt, den sie nie losgelassen hat, auch als er längst in Moskau lebte. Die stalinistischen Säuberungen überstand auch eher nicht, als seine Beschützer ihrem eigenen Apparat zum Opfer fielen bzw. mit Gorkis Tod sein natürlicher Schutz fehlte, fiel auch er. Seine letzten Aufzeichnungen wurden verbrannt, so bleiben nur wenige Geschichten über das jüdische Leben in Odessa, das einmal den Charakter dieser Stadt ausmachte. Auch wenn er heute ein anderer sein mag als früher, diese Stadt, die weniger als 300 Jahre alt ist, versprüht einen Charme, dass man den lieben langen Tag in der Morgen- Mittags- Abendsonne herumspazieren möchte, immer in dem Gefühl, dass die nächste Straßenecke noch schöner, der nächste Innenhof, Treppenaufgang, der nächste Moment noch malerischer ist als all die zuvor - dann ist der Herbst in der Seele noch ganz fern. Nur die Stadt selbst, die ist ganz Herbst auch in der Hitze des Augusts.

Dienstag, 24. August 2010

unser Goldjunge!

Da momentan nicht nur 1000 von Vokabeln durch meinen Kopf schwirren, sondern viele kleine Alltagsgeschichten, die es alle wert sind ein eigener Aufhänger zu sein, ich aber einfach nicht weiss: wo anfangen. Ändere ich ab heute die Taktik.
Ein Foto pro Tag und dazu eine Mini-Geschichte, bis ich mich mal wieder etwas gesammelt und sortiert habe.

Nomer Odin:

"Wir suchen den goldenen Lenin, können Sie mir bitte sagen, wo sich der befindet?" - "Wen suchen Sie, Dewuschka, Lenin? Welchen Lenin? - Ich wiederhole ungläubig die Frage "Welchen goldenen Lenin? Wie viele haben Sie denn?" Wir sind mitten auf dem Land eine dreiviertelstunde Maschrutka-Fahrt von Odessa entfernt in einer Stadt ohne Gesicht aber mit Zugang zum Meer; nachdem der Strandtag wegen Überfüllung, Dreck und Lärm eher von mäßigem Erfolg war, müssen wir diesen Ausflug unvergesslich machen und wollen Lenin sehen! Nicht irgendeinen Lenin! Nein, den größten Gold-Lenin der Ukraine. Einsam steht er da und blickt auf seine Allee, auf der nur vereinzelt ein alter Lada vorbeiknattert. Kein Wunder, dass die Kioskbesitzerin bei meiner Frage verwirrt zurückblieb. Nach ihm hatte sicher schon lange keiner mehr gesucht.

Freitag, 20. August 2010

Hinterhofmomente

Vor dem Fenster unseres Balkons an Platanengesäumten Hinterhof, die so dicht stehen, dass das Tageslicht nur in der gezackten Form des Laubs ins Zimmer fällt, heult uns eine Rudel Straßenhunde in den Schlaf. Es ist heiß, selbst die Bettleinen sind eine Qual und der kalte deutsche Sommer scheint schon Jahre hinter uns zu liegen. Dabei sind wir ihm erst vor wenigen Tagen entkommen.

Ich bin zurück und doch in einer völlig anderen Welt als in Kiew... in der Stadt, in der mich die Ukraine vor einem Jahr, glaube ich, zum ersten Mal verzauberte, in der das Licht einen anderen Einfallswinkel zu haben scheint. Ich bin zurück in der Wohnung, in der ich mit Кино (Kino) und 
Виктор Цой (Viktor Zoy) Bekanntschaft machte, zurück in der Stadt auf deren Dächern hochherrschaftlicher Stadthäuser ich saß und Sonnenuntergänge bestaunte, sowohl die einen als die anderen sind längst vergangen. Die Erinnerung daran nicht auch die Verzauberung bleibt. Reicher sind sie nur geworden an Begegnungen, die so vor einem Jahr noch nicht möglich gewesen wären.
Ob ich einen kleinen Jungen habe, fragt sie. Ich verneine. Es muss diese Sonne, der verlängerte Sommer sein, der einen besonderen Menschenschlag schafft. Verschämt antworte ich auf die Frage, warum ich denn nicht verheiratet sei, dass ich so viel arbeite. Dass man sich in Deutschland etwas Zeit lässt mit dem Heiraten, kann ich weder sprachlich noch inhaltlich herüberbringen. Während sie mir tief in die Augen blickt und versucht mich zu ergründen, streichelt sie meine Hand und ich peinlich berührt, werde mir erneut bewusst, was es heißt deutsch zu sein. Wiederkommen soll ich, wenn es mir in ihrem Hinterhof gefällt und beinahe hätte ich sie umarmt zum Abschied so gerührt bin ich von dieser Herzlichkeit, die mich so hilflos macht. 

Montag, 16. August 2010

Tinis Kwastage

Beharrlich antwortet der kleine ewig lächelnde Kellner auf ukrainisch auf meine russische Bestellung, überrascht schauen wir ihn an, als er Tinis Bitte auf deutsch um ein Wasser zu bekommen, sofort mit der Frage nach der Größe kommentiert - auf ukrainisch versteht sich. So gelangt Tini zu ihrem ersten Kwas, der seitdem unser täglicher Begleiter geworden ist auf unserer Reise von Lviv nach Odessa. Das Brotgetränk, das zwar schauderhaft klingt, aber  nicht nur köstlich ist, sondern ich würde meine Vermögen (sehr übersichtlich nach zweimonatiger Einkommenslosigkeit) in Aktien anlegen, würde irgendjemand auf die Idee kommen, es auf dem deutschen Getränkemarkt zu platzieren. Besser als Bionade, gesünder als Afri-Kola und hipper als Club Mate alle mal! Vorausgesetzt, dass Unternehmen würde gleich an der Börse handeln. Na bei so vielen wenn und abers bleibt es wohl dabei: Ich behalte mein Geld bzw. investiere in real-exisiterenden Kwas in der Ukraine.


[...] Diese Reise beginnt mit Zufällen. Naja, dass die halbe Republik versucht ans Schwarze Meer zu gelangen im August, war eine zu berechnende Variable gewesen und somit ist es nicht überraschend, dass wir keine Tickets für die Weiterreise noch am gleichen Abend bekommen. Doch der Zufall will, dass wir in der Lemberger Morgensonne auf das falsche Haus zusteuern, in dem wir ein Hostel wähnen und von einer alten Dame abgefangen werden, die umringt von Plastikstörchen am dritten Stock an ihrem Fenster steht und uns etwas auf Polnisch zuruft. Dass es polnisch ist, erzählt sie uns später als sie uns an der Haustür abholt auf russisch, die meisten Touristen in dieser Stadt kommen aus Polen. Sie heißt Sofia hat die 70 sicher lange überschritten, in einem Pagenschnitt flattern ihr die Chilli-rotgefärbten Haare um den Kopf. Sie lächelt und begrüßt uns im blauen Bademantel, auch wenn es sicher nicht soviel zu lächeln gibt. Nach dem wir einen Blick auf die schlafenden Gäste in beiden Zimmern werfen durften, werden wir uns einig, wir werden ihre Nachfolger. Darauf raucht sie erst einmal eine Begrüßungskippe mit Tini. Es ist morgens 7 Uhr und sie rauchen, das Eis ist gebrochen. Da beide nicht miteinander sprechen können, rauchen sie ab jetzt einfach immer in Eintracht. Ich bin immer zuständig für alle Verhandlungen und dann ruft sie mich mit dieser östlichen Mundart meinen Namen auszusprechen. So als hole sie erste Silbe ganz tief aus der Kehle, als singt sie ihn (leider unmöglich sprachlich nachzumachen, bei Nachfrage, wiederhole ich es einfach. Für alle Jenaer Nachfragen ist Tini zuständig.)

Jede Nacht holt sie sich Fremde ins Haus, alle Zimmer mit Fenster hat sie vermietet und sich selbst hinter einem Vorhang einen Bereich eingerichtet, in dem sie lebt. in diesem Bereich in dem es zu jeder Tageszeit duster ist, hängt an einer Gardine etwas, dass ich nur mit Anstrengung deuten kann. Ich ziehe etwas am Vorhang, in der Angst, dass es jeden Moment auf mich stürzt, aber nichts bewegt sich. Wir einigen uns, dass wir dieses etwas beobachten werden. Es ist auch die folgenden Tage unverändert an seiner Stelle und ich erinnere mich, dass es Glück bringt im russischen Aberglauben Kakerlaken von Haus zu Haus zu bringen. Unsere ist Gott sei Dank aus Plastik und wir entspannen uns. Die echten warten erst in Odessa auf uns.

Sofia, die Verwandte in Rudolstadt hat, schließt uns spätestens nachdem wir ihr Abschiedsdalien, Tee und Süßes schenken ins Herz. Sie bringt uns zum Dank nicht nur an die nächste Straßenbahnhaltestelle, sondern fährt noch eine Station mit uns, küsst uns zum Abschied und wieder ist einer dieser herzlichen ukrainischen Momente, für die es sich lohnt, hier zu sein.

Mittwoch, 11. August 2010

"Bitte beobachten Sie mein Land genau" (Juri Andruchowytsch, 11. August 2010)

Bei 18 Grad Bochum, wo ich nun seit fast zwei Wochen täglich sechs Stunden lang den Untergang der Sowjetunion diskutiere oder die Situation russischer Familien mit der von deutschen in gebrochenem Russisch vergleiche, zum 100sten Mal die gleichen Grammatikfehler mache und nicht selten an meiner Aufnahmefähigkeit sprich Intelligenz zweifle, einem verspannten Nacken und Schlafmangel leide; heißt es, meine baldige Rückkehr in den Osten vorzubereiten. Und das fällt mir offen gesagt noch nicht leicht. Aber ich sollte mich besser schnell an den Gedanken gewöhnen, das stabile Netz nutzen um eine weitere Runde Ukraine anzukündigen. Denn am Samstag sitze ich bereits im Zug von Dresden nach Breslau, von wo es über Lwiw nach Odessa geht um mich und mein Russisch noch etwas weiterzubringen. Ende August werde ich ein weiteres Jahr in Kiew sein.

Wer sich über die ausbleibenden Geschichten per Email gewundert hat, den bitte ich um Verzeihung. Ich habe seit April ein Experiment gestartet und bin unter die Blogger gegangen, (habe dies aber noch mit wenigen ausprobiert), wo ich die kleinen Geschichten des Alltags, meiner Reisen und Eindrücke unterbringe. Ziemlich romantisch in den letzten Sommermonaten vor dem ersten Abschied, wie ich mittlerweile finde. Aber das Klima hat bekanntlich ja Einfluss auf das Wohlbefinden und somit auf die Wahrnehmung und die Sommernächte in Kiew waren so lau, dass es einem schnell romantisch zumute werden konnte. Zwar hat mich ein Abstecher im Juli aus meiner bereits einsetzenden Nostalgie in ein reales Kiew geholt, manche meiner Leidenschaften sind eben von kurzer Lebensdauer, was mir das erneute Ankommen auf jeden Fall erleichtern wird.

Nach einem Artikel aus der heutigen FAZ, wo ein großer zeitgenössischer ukrainischer Schriftsteller im Feuilleton die Leser auffordert, "Beobachten Sie mein Land bitte genau" und mit düsteren Farben die Zukunft der Ukraine unter Janukowitsch in einer stalinistischen Tradition malt und hofft, aus diesem bösen Traum zu erwachen, bin ich besonders auf die politischen Veränderungen der kommenden Zeit gespannt. Ich hoffe, ihr auch und besucht entweder meinen Blog oder vielleicht sogar einmal real mein Zuhause für weitere 10 Monate.

Eure J.