Montag, 25. Oktober 2010

aus der Zeit gefallen

umringt mit der Reproduktion meiner selbst, sogar die Steckdosen werden eng, weil sie alle bei Milchkaffee in Mitte surfen. Peinlich - haben auch noch alle das gleiche Modell wie ich... authentischer wäre nur noch Latte gewesen, aber was solls, was drüben die Goldapplikationen auf jedem Kleidungsstück sind, sind hüben die silbernen Äpfel. Ich gehöre wohl unwiederbringlich zu letzteren. Das Mädchen von hier, das seit Tagen nur noch türkisch, arabisch, vietnamesisch und all die wundervollen Dinge seines MultiKulti-Landes isst und mampfend über die hiesigen Debatten und angeblichen Probleme staunt, die so gering sind, dass es nicht mal den Aufreger versteht.
Verstehen tue ich so einiges nicht mehr. Loki ist tot, die Republik trauert. Letztere strotzt vor properer Biederkeit ihrer renovierten Reihenhäuser. Zum ersten Mal fiel mir die akkurate Straßenführung und Parkbankplanung auf, kein Stolpern mehr...  Wenigstens hat die Verwirrung der ersten Tagen nachgelassen. Völlig durcheinander vom Fortschritt des Kopenhagener Flughafens, wo ich aufgeregt war wie beim ersten Flug und nicht wie die nun 27jährige wirkte, sondern eher wie liebliche 17 auf großer Reise, finde ich mich einigermaßen zurecht, doch so müde wie in den ersten Wochen Kiews. In der einen Welt noch nicht angekommen, aber die anderen nicht lassen wollend, nicht könnend, fühle ich mich, wie aus der Zeit gefallen. In Zwischenzeiten.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

found a wallet

Komisch fühlt sie sich an, ganz schmal und leicht, dabei ist alles drin, ausser dem Geld versteht sich. Sie ist meins und doch fremdel ich, mit fremden Fingern durchwühlt und jäh weggeworfen in den Metroschacht, fass ich sie nun mit spitzen Fingern an. Durchwühlt ist sie, sogar den Organspendeausweis haben sie aus der hinterste Ecke gekramt, Telefonnummern, Kinokarten, Kassenzettel, Visitenkarten, ein kleines ukrainisches Leben hat sich in ihr angesammelt.

Dass ich sie wieder habe, ist ein Wunder, alle ukrainischen Freunde schauen sie ungläubig an. Das passiert nie. Geschenke soll ich den netten Damen an der Metrostation dla Tolstogo machen und auch ich fange an, das Wunder zu sehen. Dabei denke ich jetzt, ist es doch natürlich, dass man eine Geldbörse mit allen Papieren und Karten meldet. Hier ist es keins. Es ist ein Wunder. Dass sich Fremde meiner Sache angenommen haben, mich als Ausländerin erkannt und im Goethe-Institut angerufen haben, das wiederum mich anrief. Ich wünsche dieser Stadt und ihren Bewohnern, dass es irgendwann kein Wunder sein wird, sich nicht nur um die eigenen Belange zu kümmern.
Aber vorerst werde ich mit Geschenken aus Deutschland wiederkommen, um das kleine Wunder, das mir geschehen ist, zu verlängern.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Diebesglück

Erfahrung schützt vor Dummheit nicht oder Leichtsinn und so bin ich eben nicht nur mein Portemonnaie losgeworden mit Kreditkarte und Personalausweis, dabei versuche ich nie Englisch oder Deutsch zu reden, nur dieses eine mal, als ich eine alte Bekannte wieder traf...

Er hat mich sogar noch angesehen, und fummelte an seiner Tasche herum, so dachte ich, aber eigentlich war es wohl meine im Getümmel der Mittagsmetro, wo, ich dachte, wir stünden so eng, keine Bewegung möglich wäre. Oft macht der das nicht, so wie er sich anstellte, so nervös wie er war. Aber die Gelegenheit hat er genutzt einmal neben der reichen Ausländerin stehen, Gelegenheit macht Diebe, als er es dann verlor und alle zugriffen, um zu helfen, vielleicht auch etwas vom Kuchen abzubekommen, als die Metro Menschenkörper spuckte in den Maydan, um neue Massen aufzunehmen. Da ging es hin mein Geld und der Rest. Mag es einer Familie ein Mittag bereiten und nicht nur ihm einen guten Suff.

Nun bin ich alles los, auch die kindliche Freude morgen nach Hause zu fahren, ist dem Gefühl einer großen Müdigkeit gewichen, und ich bin froh dem hier für ein paar Tage zu entkommen.

Samstag, 16. Oktober 2010

in Gogols Reich

Mensch braucht Inspiration um zu merken, was fehlt, was antreibt, was glücklich macht. Ganz deutlich habe ich gespürt, was mir fehlt, als ich wieder ankam, eigentlich völlig dahingerafft von der sauerstofflosen Elektritschkafahrt ins Kiewer Hinterland, wo die Wärme des Heizkörpers zu meiner Linken, die Wangen erst rot leuchten und dann die Augen glühend zufallen ließ; aber wieder hier angekommen, vergaß ich die Erschöpfung der letzen Wochen, die kurz in frischer Oktoberluft zum Vorschein kam und das Rad drehte sich wieder in dem ich strample und strample und strample. Hellwach auch ohne Kaffee noch mit glühenden Wangen gab es neue ungeahnte Hindernisse, an die ich nicht im geringsten gedacht hätte und ein allgemeines Sättigungsgefühl stellt sich ein. Satt, so satt bin ich.

Aber eine kurze Reise raus aus dieser Sattheit fühlt sich an wie Wochen. Nizhyn, (ukr. Нiжин und rus. Нежин) geistige Heimat Gogols, Stadt der dunklen Straßen zu Nacht und der weiß getünchten ehemaligen griechischen Kirchen, der puscheligen Katzen, die abends nachdem der Lehrbetrieb an der Gogol-Universität eingestellt ist, die gepolsterten Stühle der Dozenten einnehmen; Stadt der freundlichen Begegnungen mit Ukrainern, die ohne mit der Wimper über das Ausländerkauderwelsch ein Beratungsgespräch über Rot- und Weißwein beginnen als verstünden sie jedes Wort.

Kleinstadt mit gemütlicher Fahrradkultur und einem zum Stehen gekommenen Fluss, eingesperrt in Betonplatten an denen sich die Entengrütze tummelt; für mich wohl immer mit dem tiefsten Blau am Himmel verbunden, das ich in der Ukraine je sah und mit dem bayrischsten Ukrainern überhaupt.

Denn man hatte zu Ehren der Deutschen ein Konzert organisiert, mit J.R. Becher und Schlagern, modernem wie alten und so voller Liebe und Inbrunst gesungen, vorgetragen, getanzt und gespielt, dass es uns rührte. Verewigt im Sprachlabor der Germanistik-Fakultät mit "PFütze, PFennig und PFerd" und mit dem Versprechen nächstes Mal mit einem Lied wiederzukommen, wurden wir verabschiedet von Hunderten von Händen in Schwarz-Rot-Gold, die sich mit uns fotografieren lassen wollten. Soviel Begeisterung für das Land aus dem ich komme, für die Sprache, in der ich hier schreibe, habe ich noch nie gespürt. Ausländer sieht man hier nicht oft, in der Stadt, in der noch immer 85 000 Menschen leben von früheren 100 000;  die meisten davon suchen heutzutage Arbeit in Kiew, denn die einzige Fabrik die noch funktioniert, füllt saure Gurken ab, die anderen sind stillgelegt. Und so scheint nicht nur das kupferrote Wasser aus dem Wasserhahn hier ruhigen, sehr ruhigen Zeiten entgegen zu rinnen.

Sonntag, 10. Oktober 2010

"hübsch hässlich haben sie es hier..."

... dachte ich, als ich auf den Auslöser drückte. Kunst im Müll oder Müll auf der Leinwand? Denn was er malt, hat nichts mit der Realität um ihn herum zu tun. Wolkenlose Stadtansicht in Pastell. Treffend für mein Leben hier. Denn nichts scheint, wie es ist. Oder ist, wie es scheint?

Eine Woche später und ich habe mich noch immer nicht abgeregt, über dieses Aas, an der ich täglich vorbei laufe, der ich ein schönes Wochenende wünsche auf Russisch obwohl offizielle Sprachen der Akademie Ukrainisch und Englisch sind und die mich dann doch wieder auflaufen lässt. Mein Wundern, wie man nur so sein kann, wie man so wird, was solche Menschen hervorbringt, lässt nicht nach, hört einfach nicht auf. Ich brauche keinen Kaffee mehr, muss mich nur an den letzten Sonntag erinnern und schon ist mein Blutdruck ganz weit oben. Eine offizielle Beschwerde wird es nicht geben, weil sie alles abstreitet und ihre Chefs schneller erreicht hat als wir. Ich knurre sie nun täglich hinter meinen Augenliedern an und hauche ein "Dobre" aus dem tiefsten Winkel meiner Kehle hervor.

Dass ich seit 6 Tagen kein warmes Wasser bei durchschnittlich 8 Grad Außentemperatur und vielleicht 10 Grad Innentemperatur habe, mich nachts in meinen Schlafsack einmummele, der Komfort bis 8 Grad verspricht, macht mich zusätzlich etwas sensibel. Aber ich habe einfach keine Lust mehr auf solche Menschen wie sie angewiesen zu sein, mich abzumühen und Geduld und Fassung zu bewahren. Ich habe es so satt, dass Leute, wie sie die Schlüssel verteilen, meinen ihre Macht über andere auszuspielen, die nur darin besteht Schlüssel zu verteilen. Das ist doch absurd. Warum können sie das? Weil wissen, dass die Uhren hier noch nach ganz alten Zeiten schlagen, sie auf diesen Posten sitzen bis in alle Ewigkeit. Es wird noch Generationen geben, die diese Schachtel mit der gleichen Boshaftigkeit ersetzen können und ich fühl mich dem nicht gewachsen. Meine Haut wird dünner von Konflikt zu Konflikt. Leider fehlt mir sogar die Kraft zum Ironisieren momentan, kommt aber sicher wieder.
So satt habe ich es, dass ich mich nicht einmal mehr über die 50 Bewerbungen für meine Studienreise freuen kann, die ein Zeichen für den Erfolg der Fahrt im letzten Jahr sind; oder die traurigen schönen Abschiedsszenen meiner Damen, die heute morgen nach Jena aufbrachen. Die Verbleibenen zwei wollen mir das Kochen ukrainischer Gerichte beibringen, was so süß ist, dass mich das ganz rührt.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Das Wachtor-Syndrom

eine Anomalie im zwischenmenschlichen Verhalten, die vor allem Personen befällt, die völlig sinnentleerten Tätigkeiten nachgehen und sich ihr Leben damit versüßen andere zu schikanieren und zu beleidigen. Besonders häufig in der ehemaligen Sowjetunion anzutreffen, da es hier besonders vielfältige Berufsmöglichkeiten und Betätigungsfelder für solche Personen gibt. Einstellungsvorraussetzung: Geduld (die Tätigkeit ist langatmig und ausdauernd ermüdend simpel), ein gut ausgebildetes Stimmorgan, denn die anzubrüllenden Objekte - denn sie verdienen es nicht Subjekte zu sein - müssen einen ja verstehen und nicht zu vergessen ein Höchstmaß an Stupidität.

Vereint in absoluter Perfektion und Raffinesse in der Schlüssel-Verteilerin meines Hauses, auch Kommandantka genannt, in guten Zeiten auch mal die "Königin der Nacht". Aber ab jetzt ist Schluss mit freundlich. Mein Limit ist erreicht.