Mittwoch, 30. März 2011

Abschied auf Raten

Es ist Ende März, noch fast zwei Monate werden es sein, wenn mein Flugzeug abhebt, mich in eines neues völlig anderes Leben bringt. Zugegeben, etwas melodramatisch, ich fliege schließlich nur nach Frankfurt.  Aber dann ist es Schluss mit dem Projekt, in das ich seit Finnland hineingewachsen bin. Mein Nachfolger steht dann schon in Kiew bereit mein Seminar zu übernehmen. Eine Woche habe ich zum Ankommen, Verarbeiten, Wegschließen, Romantisieren und Auspacken. Dann geht es los, das neue und ferne kaum vorstellbare Leben in Deutschland.
Und schon jetzt beginnt es zu schmerzen, als mich meine Mädels ganz entgeistert ansehen, was schon im Mai so früh?

Verzweifelt guckt sie mich an, denn sie hat ihre Hausarbeit kommentiert zurück bekommen, dass es nicht möglich sei, diese Arbeit zu verstehen. Und ich fühle mich verantwortlich. Das werde ich noch lange tun, diese Mädels waren mein Start in Kiew, ich hab mit ihnen gelernt, jeden Schritt begleitet und bevor sie ihren Abschluss haben, gehe ich, das schmerzt. Dabei will habe ich sehnsüchtig nach  etwas anderem gesucht, war im Kopf lange nicht mehr am Ort und nun schmerzt es, schon jetzt und es sind noch zwei Monate des Abschiednehmens, was bin ich aber auch eine sentimentale Kuh.

Sonntag, 27. März 2011

die Abschiedstour beginnt

Wenn es mir gut geht, dann schreibe ich nicht, gut, dann zwinge ich mich ab jetzt immer ein bisschen. Denn die Tage sind gezählt. Am 23.Mai fliege ich. Bis dahin heißt es Abschiednehmen und mir wird schon ganz schwer zumute. Vielleicht kommt das mit dem Schreiben schon wieder von ganz allein.
Das erste Ziel: Czernowitz. 

„Wie ist Czernowitz für dich“, fragt er? Ja, wie es ist eigentlich. „Eine Stadt ungewöhnlicher Begegnungen“ sage ich und er: „ Es ist die Stadt der Intellektuellen, der Literatur, der Juden“ und ich frage mich, ob das stimmt.  Eine andere Aussage kommt mir in den Sinn, einer die dort Deutsch unterrichtet und sich weigerte weiterhin an die Uni zu kommen, wenn sie nochmals Zeugin von bezahlten Examensnoten wird. „ Es wird den Ukrainern, die dort leben nicht gerecht, wenn man die Stadt nur durch die Brille der Literatur sieht.“ Und in der Tat renne ich mit meinem Gregor von Rezzori durch die Stadt und suche seine Gartenstraße, das verwunschene Haus des Professor Feuer und später das Geburtshaus von Paul Celan, die Gedenkplakette hängt am falschen Haus und ich muss schallend lachen, als ich mir die ausländische Delegation bei der Eröffnung vorstelle – am falschen Ort. Das ist Czernowitz eigentlich für mich. Alles steckt in einer falschen Haut und ist dabei so charmant. Die Stadt wenig mit ihren Bewohnern zu tun, wie arrogant: der Blick durch die Vergangenheit. In welchen Städten, denen das zwanzigste Jahrhundert so übel mitspielte, ist das schon so? Und doch, die, die ich treffe, richten den Blick eher zurück als nach vorn. Der ältere Professor für französische Sprache, dessen Altherrencharme ich bei Kräutertee, Schokolade und Cognac erliege; die pensionierte Dozentin für Archäologie, die unbefangen mit uns auf Russisch plaudert über sich die Kunst in ihrer Stadt und Familie, natürlich die Vergangenheit und uns zum Abschied Postkarten über ihr altes Czernowitz schenkt. Dabei sind wir schon so reich beschenkt: kyrillische ex libris, meine neue Leidenschaft nach ukrainischen Pysanka. Über alle werde ich noch berichten, immer ein wenig...

Dienstag, 1. März 2011

Kioskkosmos

„Nehmen Sie doch von beiden eins, dann können Sie das eine mal probieren.“ „Ja“ sage ich, „aber es ist doch für eine Freundin“, „kein Problem schießt es aus ihr raus in ihrem Beratungsgespräch über Snickers Erdnuss oder Haselnuss, da sind zwei drin. Dann können Sie beide probieren.“ „Stimmt“, sage ich und kaufe beide. So geschehen, gestern an einem kleinen Kiosk unweit meiner Uni, man führt Beratungsgespräche mittlerweile mit mir. Meine Antworten holpern noch ordentlich, zugegeben, aber der treudoofe Hundeblick, den ich aufzulegen geübt war, wenn mal wieder gar nichts ging, der ist weg.  Kioske gibt es hier an jeder Ecke, sie sind von oben bis unten beklebt mit Etiketten der Verkaufsgegenstände und haben nur eine kleine Luke, in die man sich zum Kauf hineinbeugt. Ich habe da so meine Lieblinge. Den Kiosk am Kontraktova, mit der älteren aber kecken Dame, die mir immer erzählt, dass sie Rumänisch in der Schule gelernt hat und mich dann jedes Mal aufs neue fragt, woher ich denn komme (nicht, dass man das sowieso jedes Mal hören würde), dann feilt sie an meiner Aussprache. Jedes Mal das Spiel von vorn.

Noch im letzten Jahr, als die Idee mit dem Blog noch lange nicht geboren war, schlenderte ich, na ich taumelte vielleicht auch ein bißchen, um die Ecke, bog in die letzte Straße vor meiner ein, und er war weg. Ein riesen Loch klaffte an der Stelle, an der ich noch tags zuvor mein Wasser gekauft hatte. Zuerst schob ich es auf das Bier in mir, aber der kleine Treppenpodest war noch da. An dem Nichts hatte es einmal eine Treppe gegeben, in meinen Kiosk genauer gesagt. Ich war also nicht betrunken. Man hatte ihn abgeholt. Vielleicht saßen die kleine dicke blondgefärbte Verkäuferin in blauer Kittelschürze noch hinterm Tresen, zählte das Kleingeld und quatschte mit ihrer brünetten Freundin, als man sie weghob und wegkarrte. Komisch. Aber ich habe diese Vorstellung dabei. Dann lud man sie an einer anderen Stelle in Kiew wieder ab und die Geschäfte und das Geldzählen gingen weiter, so als hätte sich nie etwas geändert. Im Kioskkosmos hatte es ja auch keine Veränderung gegeben, nur in der Außenwelt. 

Ich mache Fortschritte. Der Winter auch. Es sind nun nur noch -8 Grad täglich, aber wenn die Sonne scheint, bringt sie Eiszapfen an Strommasten und Dachrinnen erbarmungslos zum Schmelzen, was einen erinnern macht, dass man eigentlich ja vorhatte, nicht mehr so nah an Hauswänden vorbei zu schleichen.  Die letzten Eishaufen werden von Baggern aufgebrochen, abgeschabt und weggefahren. Ich habe meinen Pelz mit meinem Dufflecoat eingetauscht,  der mir leicht wie eine Feder vorkommt und am Sonntag fliege ich für eine Woche nach Deutschland, in den Frühling so hoffe ich.