Sonntag, 19. Juni 2011

nach vier Wochen

irgendwie habe ich das Gefühl, die letzten Einträge nicht so stehen lassen zu können, warum nicht nutzen, dass meine Deutschland-Wiederkehr fast 4 Wochen zurück liegt. Aber was schreiben, wenn die Inspiration fehlt. Schreiben tue ich nun beruflich. Eine schlechte Ausrede, zugegeben. Denn mein erster Schreib-Auftrag ging erst gestern ein. Ich schreibe nicht einmal mehr Emails. Jede Zeile eine Fake, klingt nicht echt, nicht nach mir und dem, was ich denke, seitdem ich hier bin. Aber was ist es denn, das ich denke? Ist das Teil des Ankommens?
Kiew ist so fern und doch beherrscht es mich immer noch. Ich bringe Mittagsrunden immer noch zum Schweigen mit meinen Maschrutka-Reiseanekdoten, belausche russische Gespräche im Zug und fühle mich wie ein heimlicher Verbündeter, nutze nur unter Protest andere Kaffeetassen als meine Matrjoschka-Motive, heute beim Thai dachte ich kurz der Hühnerspieß könnte es mit einem Schachlik aufnehmen. Aber es ist vorbei.
Ich habe mich eingerichtet und damit kam mir der Sinn, nein eher das Gefühl fürs Schreiben abhanden. Dabei ist es nicht so, dass es keine Geschichten gäbe in dem Mikrokosmos Jena, der zwei Jahre auf mich gewartet zu haben scheint. Manche sind dicker, andere haben Kinder, aber vielleicht war auch das schon immer so.
Den Schock darüber habe ich überwunden. Und vielleicht hat es mir die kleinen skurrilen Begebenheiten, die mir in Kiew eine Geschichte wert gewesen wären, näher gebracht, als sie es je waren. Da ist zum Beispiel Rolf: Er kam irgendwann Mitte der 80er Jahr ins Damenviertel, fand keinen Platz in der Kneipe, die heute seine ist. Musste eingeführt werden, wie in einer Freimaurerloge, ohne Leumund ging nichts in der Wartburg einer grauen Vorzeit, in der die Stammtische, die Bekanntschaft alles waren, die Bedienung ukrainischen Regeln folgte, vielleicht fühle ich mich deshalb so wohl [...] Dabei kommt er mir vor, als sei er hier geboren. Als haben Generationen von Rolfs hinter dem Tresen gestanden, der auch vor 30 Jahren nicht anders war. Es gibt keine Karte, sie steckt in Form kleiner Kärtchen, liebevoll mit der Hand geschrieben, neben Rolf, es gibt Stammgäste, sie duzen Rolf. Manche kommen jeden Abend, der Taxifahrer, der immer ein Wasser und einen Saft an seinen Tisch gestellt bekommt, jeden Abend das gleiche Ritual. Dort darf niemand sitzen, wenn der Fahrer kommt.
Ich bin Teil dieses Rituals geworden, bestelle erst ein Radler und irgendwann am Abend schauen wir einander verschwörerisch an und nicken: Eine Runde Eierlikör. Es gibt kaum ein schrulligeres Getränk, nur in Schokobecher versteht sich, es passt nirgendwo besser hin, als in dieses Lokal, das einen Geist atmet, wie es einst gewesen sein muss, in diesem Viertel, bevor die Immobilienspekulanten den Wohnraum modernisierten, der seinem sicheren Verfall preisgegeben war. Verfall [...]
Eine Freundin aus Kiew schrieb kürzlich, sie muss für ihren Forschungsaufenthalt in den USA alle Impfungen nachweisen und diese nun peu à peu nachholen, da ihre Dokumente darüber fehlen. Ein Aufwand, ein so großer Aufwand, dass ihr die Schwester vorschlug die Papiere doch ganz einfach zu fälschen. Sie fragt sich bei dieser Anekdote erneut, wie es um die Zukunft ihres Landes in Europa bestellt ist und ich muss schallend lachen. Vor vier Wochen hätte ich noch mit dem Kopf geschüttelt. Nun lache ich. Fortschreitende Verblödung das Ankommen, das alles Vergangene im guten Licht zurücklässt. Sogar den Betrug. Ein Selbstbetrug versteht sich.

1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Blog und tolle Artikel. Da erwacht das Fernweh. Besonders bei den wunderschönen Photos. Mit welcher Kamera fotografierst du denn? Hoffentlich folgen noch weitere Artikel. Freue mich schon jetzt darauf und habe alle Beiträge per RSS abboniert.

    lg aus München

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