Donnerstag, 26. Mai 2011

lost

Ich hätte nie gedacht, dass es mich so erwischt. Alle geben sich die größte Mühe. Nur ich nicht. Ich bin fern so fern in meinen Gedanken. Meine Welt ist nicht hier. In Gedanken entsteige ich einer schwülen, satt-getränkten Metro, nehme den rechten Ausgang mit der Rolltreppe und wundere mich noch immer über das Schild, dass keine Weihnachtsbäume auf der Treppe erlaubt sind; laufe an der kleinen Oma vorbei, die immer hinter mir her ruft, weil ich ihre welken drei Kräuter genauer betrachten soll, hinaus auf den Kontraktova. An den Kiosken vorbei, der staubigen warmen Luft, die immer nach Autoabgasen riecht, im Hintergrund spielt wieder jemand "Kino"-Songs, weiche dem Verkehr wie den Straßenschäden aus. Das ist mein Nachhauseweg. Nachhause. Nie hätte ich gedacht, dass es mich so erwischt. Aber Jena ist mir nicht nur fremd, es ist mir zuwider. Wie ein zu enger Schuh, der kneift und jeder Schritt daran erinnert. So lief ich altbekannte und doch neue Wege. Alle geben sich Mühe. Nur ich nicht. Vielleicht morgen.

Montag, 23. Mai 2011

Auf Wiedersehen in Kiew

So nun ist es soweit. Der vorerst letzte Eintrag aus meiner Kiewer Fensterbank, wo mein Apple und ich stehen, da das Netz nicht weiter in das Zimmer hineinreicht. Vorerst schreibe ich. Vorerst denke ich. Zwei Jahre sind zu lang um darüber nachzudenken, dass es das letzte Mal sein könnte. Vorerst also. Abschied ist komisch. Taub fühlt er sich an. Verloren sehe ich aus, sagte eine Studentin auf meiner Party. Verloren. Ja, vielleicht fühlt er sich auch ein bißchen verloren an.

So lang hab ich auf den Moment gewartet, in etwas Neues zu fahren, zu starten. Nun fällt er so schwer dieser Moment.

Nun ja, sagen wir also Auf Wiedersehen. Auf ein Wiedersehen in Kiew.

Jana

Dienstag, 10. Mai 2011

сентиментальная Яна

Es ist also so weit. Ich bin offiziell sentimental. Was bleibt da noch hinzuzufügen. Wenig. Heute in zwei Wochen, ist das Abenteuer Ukraine abgeschlossen.

Gestern als ich ein Mädchen wieder traf, die mir im ersten Jahr sehr ans Herz gewachsen war und mir irgendwie abhanden gekommen war im zweiten; sie mir gestand, dass sie sehen wollte, was sich verändert hat, wie ich mich verändert habe, war ich überrascht, welches Bild ich abgab. Als sie mich kennenlernte, sah sie einen Menschen, der ganz instinktiv erst einmal handelte wie im großen Abenteuer und dann darüber nachdachte, welche Konsequenzen daraus erwachsen würden. Nun ist es anders, ich wäge ab, erwachsender komme ich ihr vor. Erwachsener also. Ja vielleicht ist das so, wäre mir auch in Deutschland vielleicht passiert. Musste ich dafür in die Ukraine gehen? Das Land, mit dem ich vor allem eins verbinde: starke Emotionen. Halb geht nicht, die Skala rauf und wieder runter, im ständigen Wechsel, ein dazwischen, ein stoisches Annehmen gibt es nicht. Kann man zwei Jahre wirklich so simpel zusammenfassen? [...] In gebrochenem Englisch erklärt mir eine Andere, dass sie nach Kanada auswandern will, weil das Leben in der Ukraine gut, aber dort besser ist. Auch wenn sie hoffe, dass der Wohlstand eines Tages in die Ukraine schwappen wird, sucht sie ihr Glück lieber gleich weit weg, bevor sie sich hier verliebt und heiratet und dann nicht mehr geht. Ich bin immer noch ratlos, was ich in solchen Gesprächen erwidern soll. Wenn ich mich ärgerte, war ich froh auf Zeit zu spielen. Das trifft es im doppelten Sinne. Ich spiele für eine gewisse Zeit und auf Zeit, weil die Rückkehr eingebaut ist. Ich kann immer gehen. Für mich sind die Grenzen immer die offenen, die das Abenteuer so lustvoll machen, denn der heimische Pass verspricht Sicherheit.
Aber bin ich hier je angekommen? Ich spreche immer noch gebrochen Russisch, Ukrainisch 5 Worte. Am liebsten vermeide ich Situationen, in denen ich es anwenden muss. Wie kann man so ankommen in einer Gesellschaft? [...] Als gestern ein junges Mädchen in der Metro einem Veteranen den Platz verweigerte und die Dame neben mir in mir eine stille Verbündete zu sehen glaubte, nickte ich unbeholfen, verstand ihren Ärger auch ohne große Worte. Aber ein lauter Zuspruch wäre schöner gewesen selbstverständlich. In solchen Momenten ist der Ärger groß über mich, über meine Zier, über meine Faulheit, meine Feigheit und nicht über das Land, dessen Reiz mir aus eigener Dummheit in seiner Gänze verschlossen bleibt.

Sonntag, 8. Mai 2011

eine Kaffeefahrt nach Transnistrien

gibt es nicht, wäre aber eine Überlegung wert. Denn nichts aber auch gar nichts kam mir auf unserer Reise beschaulicher vor als Tiraspol, die Hauptstadt eines Fleckens Erde, der sich nach blutigem und zähen Krieg Anfang der 1990er Jahre vom gerade unabhängig gewordenen Moldawien abspaltete. Die Приднестровская Молдавская Республика (Transnistrische Moldauische Republik), wie sie offiziell heißt, wird von keinem Land der Erde als unabhängiger Staat anerkannt, ist mini und schlängelt sich an der ukrainisch-moldauischen Grenze den Dnister entlang.

Das Land mit hohem Skurrilitätsfaktor: das Wappen mit Hammer und Sichel ausgestattet, ehrt noch immer Helden der Arbeit im Jahr 2010, führte 1994 den Rubel als Währung ein und unterhält enge Beziehungen zur Russischen Föderation, wie unschwer an den großen Plakaten mit Putin und Medwedew zu erkennen ist, die die proper gepflegten Prachtstraßen säumen. Die Tennis- und Fussballclubs, Supermärkte und Telefonanbieter tragen symbolträchtig nur einen einzigen Namen: Sheriff. Wem Sheriff gehört ist unklar, dem Sohn des Präsidenten wird gemunkelt, der auch die über alle Grenzen bekannte Cognac-Fabrik "Kvint" führt. Ein Meisterstück postsowjetischer Privatisierung von ehemaligen Staatseigentum eben.

Angepriesen als die letzte sozialistische Bastion der ehemaligen Sowjetunion fuhren wir pünktlich zum 1. Mai nach Tiraspol in heller Aufregung einer Parade. Und auch hier fand das Abenteuer vorrangig in meinem Kopf statt, denn nicht mal rote Nelken weit und breit. Nichts außer ein paar belgischer Touristen, mit der gleichen Idee gestrandet im einzigen Hotel der Stadt fassungslos ohne Klobrille und durchsichtigen Toilettenpapier zu sein, berichteten sie von ihren Osteuropa-Erfahrungen, die wir - erfahren wie wir sind - müde manchmal etwas arrogant belächelten, manchmal schallend. Sie hatten es immerhin ohne eine einzige Vokabel Russisch dorthin geschafft, eine wirkliche Leistung zugegeben und schienen sich auch nicht daran zu stören, dass der Kurs mit dem die Kellnerinnen ihre Euros mit zunehmender Stunde und Wodkakonzentration in Rubel umtauschten, immer schlechter für sie ausfiel.

Nach dem wir die Prachtstraße einmal hoch und einmal wieder am "Haus des Sowjets" herunter flaniert waren nicht unbemerkt von Eisverkäuferinnen, war der Entdeckerdrang gestillt. Selten hatte ich ein Abenteuer, das so sehr nach biederem Blümchenkaffee roch.

Samstag, 7. Mai 2011

Kopfkino

das meiste spielt sich in meinem Kopf ab. Das war schon immer so. Je größer die Erwartungen und gemalten Bilder in meinem Kopf, desto größer die Ernüchterung, desto entschiedener meine Standpunkte, von denen ich nur schwer wieder abrücke. Die durchdachte Bekanntschaft zu meinem ukrainischen Schauspieler aus der Provinz hat so genauso wenig Chancen, ist abgehakt, bevor sie überhaupt begonnen hat, wie das beschauliche Moldawien, das ich mir in den buntesten Farben, in den schauerlichsten Gangstergeschichten malte, dass alles was kam, nur enttäuschen konnte.
Dabei liegt das nicht an Moldawien, das enttäuschte, sondern einzig an mir, an meinem Kopfkino.

Noch nie zuvor hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich noch alles im Leben erreichen wollte, bis ich die winzige Maschine der Moldovan Airline nach Chisinau bestieg, die so klein war, dass den Reisenden selbst das Handgepäck abgenommen wurde, da es keine Verstaumöglichkeiten gab. Eingeklemmt in seine Fahrerkabine schaute uns der Kapitän an, der wirkte als müsse er den Kopf einziehen. Aber selbst diese Erfahrung entpuppte sich als harmlos.
Plötzlich, so dachte ich, verstanden zu haben, warum mich alle Ukrainer so entgeistert anguckten, als ich von meinem Reiseziel berichtete. "Was willst du da" war die zweithäufigste Frage nach "was gibt es dort?", immer schön den Osten weiter verschieben. Dabei ist Moldawien geographisch westlicher, was aber nicht davon abhält, den kleinen Nachbarn abzuwerten.

Unter uns im Schein der Abendsonne lagen viele kleine Quadrate mit unterschiedlicher Färbung, die auf unterschiedliche Nutzung hindeuteten, akkurat gezogene Winkel auf viel Liebe oder Pragmatismus: Es schien, als sei kein Flecken Erde ungenutzt. Als ich während der Reise durchs Land das ein oder andere Mal alte Leute den Karren ziehen sah statt ihrer Pferde, die ausgemergelt am Rand standen, wusste ich warum. Moldawien ist ein Agrarland, auch wegen der Not und Alternativlosigkeit. Aber kann man es seinen Bewohnern abgesehen von abgetragener Kleidung ansehen? Ich würde sagen: nein. Die Menschen lachen wie andernorts, flanieren und freuen sich an der Frühlingssonne. Und das ein gesamter Bus Anteil daran nimmt, ob ich die richtige Haltestelle in Chisinau finde und meinen Schuh sucht, den ich bei einer Umräumaktion bei beschränktem Platz verlor,  habe ich so in Kiew noch nicht erlebt und hat schön aufgeräumt in meinem Kopf.

Schluss mit Abschied

mir geht dieser ständige Foto-Abschiedsmarathon auf den Keks. Zumal meine letzte Reiserei nach Moldawien den Druck erhöht hat, ständig Fotos nachzulegen. Aus diesem Grund höre ich offiziell auf, mich zwanghaft zu verabschieden und schreibe lieber wieder Geschichten über meine letzten Erlebnisse, die sich zwar für meinen Geschmack ziemlich unspektakulär ausgingen. Aber eine Reise in ein Land, von dem mir alle Ukrainer abrieten, geschweige denn ins sowjetische Vorzeigeland Transnistrien, das nach der internationalen Staatengemeinschaft gar kein Land darstellt und doch ganz real eigene Grenzkontrollen durchführt, eine eigene Miliz und Währung hat, sind einen Blogeintrag wert.

In diesem Sinne, die letzten zwei Wochen sind eingeläutet
Jana