Sonntag, 27. Februar 2011

Worte zur Mitternacht

Ich kann nicht behaupten, dass die Liste an Aufgaben, auch intellektuell herausfordernden Aufgaben, die ich noch bis nächste Woche Sonntag zu erledigen hätte, kurz wäre. Nein, das ist sie nicht. Und ich habe keine dieser Aufgaben heute angerührt, nichts von alledem.
Dafür habe ich mein Traumsofa gefunden, einzig über die Farbe werde ich mit mir noch nicht einig, habe mich durch zahllose dänische Design-Möbel-Seiten geklickt und Wohnaccessoires begutachtet, mir über shabby-chic und Post-Bauhaus Stil Gedanken gemacht, Seiten zum Beziehen von Polstermöbeln gesucht und dabei diese und viele weitere anregende Dinge entdeckt.

Nun was hilft mir das? Nichts, denn nichts von alledem werde ich in die Tat umsetzen können, wenn ich den morgigen Tag ähnlich verbringe, weil ich mir dann weder dänisch noch shabby geschweige denn Bauhaus jemals leisten kann.
Aber was soll ich tun, warum trägt mich das Gefühl des Aufbruchs nicht, das mich sogar vor Tagen schon hat packen lassen, die wichtigsten und schwersten Dinge versteht sich. Dabei bleibe ich, wohl bis Juni. Aber alles ist wie abgekartert mit  mir selbst. Ich ertappe mich immer wieder bei dem Gedanken, dass ich noch dieses und jenes besorgen, essen, trinken, besichtigen muss. Dabei geht an diesem Wochenende doch erst der Februar zu Ende. Ich habe abgeschlossen, so scheint es. Das ist ungesund und doch kann ich mich gegen dieses Gefühl nicht wehren. Es ist einfach da, die ganze Zeit, als säße ich auf einer Schwimmbadrutsche und warte nur auf einen größeren Schwall Wasser der mich trägt, mich beschleunigt. Das Warten am Rand, das einen frieren macht, beendet.

Die Selbsttäuschung reicht nur nicht weit genug, um nicht zu wissen, dass ich etwas leisten muss, damit die Dinge so laufen, wie ich es will; ich mich in die Kurven legen muss, damit mich dich Rutsche so richtig beschleunigt. Wann werde ich irgendwann mit diesem Schludrian auf die Nase fallen, einen Bauchlander um im Bild zu bleiben? Ist die Zeit dafür jetzt da? Dann wird der   Aufprall auf dem Wasser sicher hart, das Schlucken von zu viel Wasser arg.

Samstag, 19. Februar 2011

„Ja. Das ist Liebe“

sagt er, und begleitet uns zum Ausgang. „Hat es Ihnen gefallen, Dewuschki?“ und wir mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen rufen: „ja, sehr, sehr, sehr“. „Ja, das ist Liebe“ schmunzelt er uns noch einmal gütig an, mit einem Blick, der Erfahrung zeigen soll und schließt die Tür zum Saal hinter uns.

Selten war ich in so einem Rausch von Musik. Die Bühne und das Ballett fast unnötig, so ergriffen war ich, so schauderte es mich, wenn die Streicher im langen Vorspiel den dritten Akt einkratzten, der Tanz der Ritter in Moll die nahende Tragödie vorbereitete und ich noch Stunden später daheim noch bessere Inszenierungen auf youtube suchte, immer die Gänsehaut an der gleichen Stelle der Musik provozierend. Ja, das ist Liebe. Wie kann ein Mensch so wundervolle Musik machen, frage ich mich unentwegt, den Rausch ein wenig verlängern wollend.

Ob es der nahe Frühling ist, die letzten fünf sonnigen Tage, die nicht nur mich beschwingt durch Kiew liefen ließen, sondern auch die Vögel zum verlieben animierten, egal ob, wie ich eingemummelt in meine Dublonka (siehe Dublonka-Liebe vom 13. Feb. 2010), oder sie aufgeplustert bei Minusgraden ausharren, es ist Zeit und so habe ich mich diese Woche schon mehrfach verliebt. Erst in den roten Bus (siehe Blogbild), dann in eine kleine getigerte Katze mit Bernsteinaugen, die am Mittwochabend Irokes getauft wurde und nun in Prokofievs „Romeo und Juliette“, ein ganz klein bisschen vielleicht auch in Mercutio, der für meinen Geschmack viel zu früh sterben musste im zweiten Akt und der eigentliche Romeo des Abends für mich war. Vielleicht waren die schwarzen Strumpfhosen einfach ansprechender als Romeos weiße, oder das Lächeln, das ich auch im dritten Rang vorn überbeugt auf die Brüstung noch erkennen konnte.

Dabei fing alles etwas zu hektisch an, um sich auf die Musik einlassen zu können. Eine frei gewordene Karte versuchte ich stundenlang an den Mann zu bringen, um am Ende zu wenig zu haben, noch eine zu besorgen und mich bei der dritten zu  entschuldigen. Alle zu spät, so spät das in der Garderobe niemand bereit war unsere Jacken anzunehmen, die Nummern waren ausgegangen. Ein langes hin und her und Debatten mit der Garderobendame, deren Ehre wir verletzten, weil ihr unsere Lösungsvorschläge für das Problem zu profan erschienen. So kamen wir verspätet in die Vorstellung, unsere Plätze waren an andere verloren und ich verbrachte den ersten Akt hinter einer Säule im dritten Rang, damit beschäftigt mich zu beruhigen und dem Geknister um mich herum, dass Telefonieren und Gequatsche der anderen Gäste zu ignorieren. Ab dem zweiten wurde alles besser, die Plätze zurück erobert und mit Blick auf dem Orchestergraben schien auch die Musik eindringlicher, lauter zu werden und ihre Wirkung auf mich zu entfalten. Begeisterungsstürme am Ende, Blumenkörbe, (die so schwer und groß waren, dass es zwei Träger bedurfte) von Ministern, die in der Ehrenloge Platz genommen hatten und einer Julia mit einem Liebreiz, die so ergaben meine Youtube Recherchen auch auf Jahrzehnte keine Konkurrenz fürchten muss. Ja, es ist Liebe.

Montag, 14. Februar 2011

Kiew mein Wintermärchen

Ein abwägender Blick auf mich und die freie Stelle neben mir, genügt und sie schwingt sich auf das kleine Podest neben dem Fahrer, wo auch ich in der vollen Maschrutka Platz genommen habe. Ganz eng und kuschlig tuckern wir durch die Stadt, genauer am Dnjepr entlang, denn ich will auf die andere Seite der Stadt, dort wo die meisten Kiewer und Straßenhunde wohnen, wo die Metro langsamer als irgendwo über das ausgefahrene Gleisbett knattert und wo ich mit einem „Willkommen auf der anderen Flussseite“  begrüßt werde, als ich in der eisigen Sonne auf Johanna, Grund meines Ausflugs warte. Wie ein kleines Abenteuer kommt es mir vor, dabei habe ich nur mein Quartier verlassen, aber hier fühlt es sich zum ersten Mal seit Tagen an, als wäre ich wirklich in Kiew angekommen auf dem Weg in die Schlafstadt, die keine ist, sondern früher Bonzenviertel war wegen der Nähe zum Fluss und seinem Panorama auf Lavra und Dnjeprstrände, das im Eis ganz verwunschen wirkt im 14. Stock von Johannas Wohnblock.

Noch vor wenigen Tagen verklärte ich die ersten deutschen Frühlingszeichen. Auf der Fahrt durch die Ukraine fragte ich mich mehr als einmal, was ich hier eigentlich mache, suche und vor allem warum ich mir das antue. Nichts mehr von diesem Gefühl als wir die zweite Brücke über den blaßblauen Fluss nehmen, der an vielen Stellen durchweg gefroren ist, die Schollen, die vor wenigen Tagen noch einsam vor sich hintrieben, lassen sich erahnen. Die Eisfischer haben ihn bereits in Beschlag genommen, die grüne Färbung des Eises verrät die Dicke aber vor allem die Dünne des Unterfangens, ohne Risiko keine Fischerfreude. Bei diesen Minusgraden leuchtet die Stadt, die Luft knistert, der Asphalt ist weiß gepudert und die Menschen rosabewangt pusten kleine Wolken in die Luft, wie die Kraftwerke, die man am Horizont überall erkennt.
Ich genieße diese Kälte, weil ich so gut vorbereitet bin in diesem Jahr, weil meine Heizung funktioniert und sie den Kopf freipustet vom Gegrübel, was kommt und kommen soll.
Meine erste Maschrutka-Fahrt in diesem Jahr und ich kann mich nicht erinnern, wann ich meine letzte so bewusst erlebt habe, die kleinen Gucklöcher, die die Reisenden ins Eis am Fenster gekratzt haben, um die richtige Haltestelle zu erwischen. Die Verschiedenheit der Damenpelzmützen und Mäntel, an denen sich der Wohlstand einer Familie ablesen lässt, wie sonst nirgends. Ich wusste, dass es sich wieder einstellen würde, das Gefühl für das hier und das Abenteuer, das es eigentlich ist, hier zu sein, dass aber der Winter dabei helfen würde, habe ich nicht gedacht.

Sonntag, 13. Februar 2011

Dublonka-Liebe

Als ich mich heute an einer Hausecke festhielt, um nicht von der nächsten Schneeböe mitgerissen zu werden, tief in meinen Mantel eingegraben, der mich zu einer anderen macht, zu einer von hier, wusste ich, er war die beste Anschaffung des letzten Jahres. Dabei war nicht immer klar, ob es zu einer Freundschaft kommen würde zwischen uns. Aus Verlegenheit angeschafft, mit ein bisschen Scham ihn auch in anderem kulturellen Kontext tragen zu wollen, viel zu groß und unförmig, wollte ich ihn noch in der letzten Woche alsbald verhökern – spätestens im Frühling.

Ich erinnere mich noch genau an das abwehrende Gefühl beim Einsteigen in den elterlichen Wagen auf der Fahrt zum Bahnhof: ich lasse mein ziviles Leben hier, dachte ich. Als streife ich eine andere Haut über. Viel zu warm für deutsche Winter, vor allem in Jena, wo ich bzw. mein „Russenmantel“ Ziel von Spott und Fotos waren, nicht ich wurde mehr auf der Straße und in Cafés erkannt, nein zuerst der Mantel. In Berlin wurde es besser, noch schrägere Vögel weit und breit; Pelz ist zudem wieder angesagt  - unter den Hippen, da fiel ich mit dem übergroßen Kurzhaar kaum auf.
Vielleicht kamen wir uns auch einfach näher, gewöhnten uns an einander wie in einer Vernunftehe. Je östlicher ich kam, desto natürlicher das Gefühl. Jetzt greif ich automatisch zu meinem glänzenden Freund, vielleicht überlege ich mir das mit dem Verkauf noch mal, zumindest bis die Temperaturen die magische Grenze von 0 wieder erreichen, heute war das jedoch mindestens 12 Grad davon entfernt. Wir werden wohl noch einige schöne und innige Stunden verbringen mein Dublonka und ich, denn von Frühling ist hier weit und breit noch nichts zu sehen.

Freitag, 11. Februar 2011

mein roter Bus...

eine neue Zeit hat er eingeläutet auf diesen Seiten, der blaue Kiewhimmel musste weichen. Ganz verliebt schaue ich ihn an, dabei kamen wir uns kaum näher, so schnell zogen wir an einander vorbei. Eine Momentaufnahme nur, aufgeschnappt, wie so vieles auf der elend langen Fahrt von einer ostdeutschen Tristesse in die nächste. Dass Dinge an mir vorbeirauschten, kann ich nicht sagen, schon gar nicht an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine oder im Schneesturm vor Kiew, aber die Eindrücke nach zwei Monaten Abstinenz waren zu eindringlich, die Stimmung im Einheitsgrau zu erdrückend. Bald hat sie mich wieder, das weiß ich auch, bis dahin beobachte ich das sanfte Schneetreiben vor meinem Fenster an die Heizung gekuschelt und werfe liebevolle Blicke auf meinen roten Bus. So kann doch ein neues Jahr in der Ukraine beginnen, würde ich sagen. Wir kommen einander schon wieder näher, der Abschied wird sicher bitter.

Sonntag, 6. Februar 2011

Sonntagslamento

Ich sitze auf einer fremden Couch in einer fremden Wohnung, vor deren Fenster Berlin seinen Sonntagsregen zelebriert und lese Zeitung. Alle. Die Wohnung ist voll davon, unberührte Seiten seit Beginn des Jahres und begreife, wie sehr mir das fehlt, wie weit ich weg war in den letzten Jahren. Wie sehr mir dieses deutsche Lamentieren und Moralisieren, die politischen Grabenkämpfe gefehlt haben, die kleinen Raffinessen meiner Sprache, die ich in keiner anderen so aufspüre. Da lächelt Sarah Wagenknecht in der ZEIT ihr „entrücktes Rosa-Luxemburg-Wiedergängerinnen-Lächeln und schlägt in der kalten Winterluft den Kragen ihres grauen Revolutionsmantels hoch“ und die FAZ geißelt die Doppelmoral unserer politischen Diskurse, von Fackeln die nicht zu Funzeln verkommen dürfen im Kampf um die Moral und Ägypten. Ich liebe es. Ich will wieder hier leben, in meinem biederen, sauberen, wohlstandsverwöhnten Land, will mich aufregen über die nicht eingeführte Frauenquote in Unternehmensvorständen, die Wolfsmentalität der Kirchen als Arbeitgeber im Schafspelz und und und... Und doch fahre ich morgen zurück und bin gespannt, wie lange es dauern wird, bis ich dieses Gefühl, diesen Wunsch wieder vergessen haben werde. Ich werde mit ziemlicher Sicherheit davon berichten, wenn ich in der anderen Welt ankomme.