Irgendwann bewegt man sich in einer Stadt, als erwarte man nichts Unerwartetes mehr und schon bleibt sie Zuhaus, die sonst so lästige Kamera, die einen in Momenten wie heute Abend schmerzlich fehlt. Aber was hätte ich da gezeigt: ein Kiew, das von meinem Retro-Eindruck, mit seinen rostenden Autos und ihren Besitzern aus den 70ern, seinen Kopftuchtragenden Babuschki und streunenden Kötern, das ich vermittele, vielleicht so gar nicht existiert, sondern nur in meinem Kabinett der osteuropäischen Skurrilitäten.
Denn das Kiew von heute Abend, war ein Sammelsurium schöner junger Menschen, dass man auch in Berlin Warschauer Straße oder am Kottbusser Tor findet. Heute Abend strahlte jeder um die Wette noch dollerer Individualität, auch wenn die Quote der "RayBan" Träger überdurchschnittlich hoch war. Die Uniformen von heute sind eben andere.
Da taucht man mit silberner Plastikmaschinenpistole und Lederpeitsche auf, weil der Veranstalter ausdrücklich gebeten hat auf Waffen zu verzichten um britischen Bands unter Sternenhimmel zu lauschen, nur selten unterbrochen vom Geläut, das aus dem Klosterkomplex von neben an hinüberläutet. Löcher im Boden von Ausstellungsräumen werden da schlichtweg in die Installationen eingebaut und werten so zum Teil eher tröge Bilder auf. Künstlerinnen verkaufen ihren Haarschmuck an verrückte Neureiche und Westlerinnen, die sich später am Abend zuhaus vorm Spiegel fragen, wann soll ich dieses Teil je tragen?[...]
Plötzlich erscheint Kiew in einem anderen Licht. Schön, dass es eben auch zum Ankommen gehört, mehrdimensional zu sehen und nicht immer den eigenen Stereotypen im Kopf hinterherzurennen.
Und so reihte ich mich ein an diesem Abend mit meinem RayBan Verschnitt, an dem es hieß "I love Kiev" um mir später am Abend vor meinem Spiegel die Frage zu stellen: Wann soll ich dieses Teil je tragen?
Sonntag, 30. Mai 2010
Freitag, 28. Mai 2010
Eine Stadt feiert sich selbst
und ich geh nicht hin. Warum? Weil es mich stresst zwischen schon am Nachmittag völlig betrunkenem Volk zu stehen, das sich beschallen lässt von überdimensionierten Bässen und Werbeständen für Mobiltelefone und Exportbier, das in einem Meer von Scherben ekstatisch tanzt, trotz offenem Alkoholverbot auf den Strassen. Nun Glas klirrt auch in Papierbeutelchen.
Waren Sie beim Kiew Fest? Ja, nun ja, als ich mich im Supermarkt an den Bierkäufern vorbeipresste vielleicht ein wenig; als mich das Taxi direkt um die Massenveranstaltungen vorbeifuhr vielleicht auch etwas. Nein, eigentlich war ich es nicht und vermisste das klassische Wochenende in Podol, wenn der wöchentliche Dauerstau abflaut und einen wieder atmen lässt, zur Zeit Lindenluft, aber eben nur am Wochenende, wenn das Tal am Fluss wieder Luft bekommt. Stattdessen schien ich die Einzige zu sein, die den Stadtteil freiwillig verließ in fernere Gegenden, während der Rest der Stadt zu den eilig aufgebauten Bühnen strebte.[...]
Wie Diven fühlten wir uns in diesem lauen Freitag bei der Fahrt durch die Kiewer Nacht, wenn jeder zweite Blick in das gegenüber im Stau stehende Auto ein kurzer Flirt wird, vorbei an den angestrahlten Denkmälern der Stadt, während unser Fahrer vor sich hinmüffelt mit ukrainischen Diskorhythmen im Anschlag, um für drei Lieder zu Balkanklängen zu tanzen und schon wieder im Taxi zu verschwinden zum nächsten Ort - so feiern wir uns selbst, etwas Wehmut immer im Gepäck mit dabei in diesem beginnenden Sommer.
Mittwoch, 26. Mai 2010
SCHREIBSTREIK
Montag, 24. Mai 2010
Ein Gespenst geht um namens Melancholie
Mit den Besuchen aus Deutschland, die mir das merkwürdige Gefühl vermitteln, ich würde hier meine Stadt präsentieren und vielleicht ist sie das auch nach neun Monaten ein ganz klein wenig, kam sie klamm heimlich mitangereist.
Wenn ich an der alten Babuschka vorbeiziehe, die tageintagaus mit ihrer vielköpfigen muffelnden Hundebande am Fuße des Andreasstieg hockt und um Almosen bittet, komme ich mir vor, als begegne ich einer alten Bekannten. Vorbei an den Ständen mit Ukraine-Nippes, Weltkriegsaccesoires und häkelnden alten Damen, die bei Wind und Wetter ihre Ware feilbieten; immer den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht in einem der großen Schlaglöcher zu versinken, vorbei an meinem gelben Lieblingsladakombi, dann kann ich mir kaum vorstellen, hier irgendwann nicht mehr vorbeizulaufen. Noch vertage ich den Kauf von Erinnerungsstücken und Mitbringseln immer wieder nach hinten, denn die liebe Zeit ist ja noch so lang! Aber ist sie es?
Um mich herum ist Aufbruch, ob es auch einer für mich wird, habe ich noch immer nicht entschieden. Irgendwann denke ich, werde ich es wissen, einfach so und es wird das richtige Gefühl und die dazugehörige Entscheidung sein. Hierfür sind es noch genau vier Wochen und das Verschieben von Gastgeschenken, des Besuchs im Bulgakov Museum, im Museum für zeitgenössische russische Kunst und des riesigen Buchmarktes in Petrivka zeigen wohl eine Tendenz an. Wenn ich auf dem Markt in strahlend goldene Zähne blicke, die mir noch mehr Äpfel, Sonnenblumenkerne oder Petersilie verkaufen wollen; wenn ich von der Kioskbesitzerin lachend auf meine schlechte Betonung hingewiesen werde, oder mal wieder zu schnell durch die Metrotore schlüpfen will und die Schranken krachend vor mir einrasten; wenn ich in erstaunte Gesichter neben mir blicke, weil ich die Rolltreppe laufend genauso schnell nach oben strebe wie meine rollenden Nachbarn; wenn ich die alte aber adrette Opernsängerin an der Maydan-Unterführung ihre ernsthaften Lieder trällern höre mit einem Plastikbecher vor sich aufgebaut; dann habe ich das Gefühl, noch mehr Zeit zu brauchen, um das hier alles besser zu verstehen, dieses Land, die Leute und ihre Regeln. Mehr Zeit um mich zu wehren gegen die Kommandantka meines Gästehauses, wenn sie mich wieder einmal mit Missachtung straft, gegen die Wachen, die noch nie im Leben eine andere Sprache erlernt haben und nicht ahnen können, wie schwer es fällt, über die fünf auswendig gelernten Sätze hinaus ein Gespräch aufrechtzuerhalten, wenn doch das Gefühl für diese Sprache sich so langsam einstellt. Mehr Zeit um mich mehr um mich und die neuen Freunde zu kümmern.
Mindestens fünf Jahre muss man für diese Stadt arbeiten, wurde mir kürzlich berichtet, bevor sich die Anstrengungen auszahlen und die Stadt für einen arbeitet. Ich denke nicht, dass ich soviel Zeit brauche und ob diese Regel auch für mich als Ausländerin gilt, die trotzallem in ihrer Luftblase von Ausländerbekanntschaften und Zentrumsquartier und deutschen Presseschau lebt, nun ja wir werden sehen.
Wenn ich an der alten Babuschka vorbeiziehe, die tageintagaus mit ihrer vielköpfigen muffelnden Hundebande am Fuße des Andreasstieg hockt und um Almosen bittet, komme ich mir vor, als begegne ich einer alten Bekannten. Vorbei an den Ständen mit Ukraine-Nippes, Weltkriegsaccesoires und häkelnden alten Damen, die bei Wind und Wetter ihre Ware feilbieten; immer den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht in einem der großen Schlaglöcher zu versinken, vorbei an meinem gelben Lieblingsladakombi, dann kann ich mir kaum vorstellen, hier irgendwann nicht mehr vorbeizulaufen. Noch vertage ich den Kauf von Erinnerungsstücken und Mitbringseln immer wieder nach hinten, denn die liebe Zeit ist ja noch so lang! Aber ist sie es?
Um mich herum ist Aufbruch, ob es auch einer für mich wird, habe ich noch immer nicht entschieden. Irgendwann denke ich, werde ich es wissen, einfach so und es wird das richtige Gefühl und die dazugehörige Entscheidung sein. Hierfür sind es noch genau vier Wochen und das Verschieben von Gastgeschenken, des Besuchs im Bulgakov Museum, im Museum für zeitgenössische russische Kunst und des riesigen Buchmarktes in Petrivka zeigen wohl eine Tendenz an. Wenn ich auf dem Markt in strahlend goldene Zähne blicke, die mir noch mehr Äpfel, Sonnenblumenkerne oder Petersilie verkaufen wollen; wenn ich von der Kioskbesitzerin lachend auf meine schlechte Betonung hingewiesen werde, oder mal wieder zu schnell durch die Metrotore schlüpfen will und die Schranken krachend vor mir einrasten; wenn ich in erstaunte Gesichter neben mir blicke, weil ich die Rolltreppe laufend genauso schnell nach oben strebe wie meine rollenden Nachbarn; wenn ich die alte aber adrette Opernsängerin an der Maydan-Unterführung ihre ernsthaften Lieder trällern höre mit einem Plastikbecher vor sich aufgebaut; dann habe ich das Gefühl, noch mehr Zeit zu brauchen, um das hier alles besser zu verstehen, dieses Land, die Leute und ihre Regeln. Mehr Zeit um mich zu wehren gegen die Kommandantka meines Gästehauses, wenn sie mich wieder einmal mit Missachtung straft, gegen die Wachen, die noch nie im Leben eine andere Sprache erlernt haben und nicht ahnen können, wie schwer es fällt, über die fünf auswendig gelernten Sätze hinaus ein Gespräch aufrechtzuerhalten, wenn doch das Gefühl für diese Sprache sich so langsam einstellt. Mehr Zeit um mich mehr um mich und die neuen Freunde zu kümmern.
Mindestens fünf Jahre muss man für diese Stadt arbeiten, wurde mir kürzlich berichtet, bevor sich die Anstrengungen auszahlen und die Stadt für einen arbeitet. Ich denke nicht, dass ich soviel Zeit brauche und ob diese Regel auch für mich als Ausländerin gilt, die trotzallem in ihrer Luftblase von Ausländerbekanntschaften und Zentrumsquartier und deutschen Presseschau lebt, nun ja wir werden sehen.
Mittwoch, 19. Mai 2010
Eintagsfliegen
Nun bei einer Postsammlung von drei Einträgen kann man bereits von einer Kontinuität und Etabliertheit eines Blogs sprechen, wurden meine Geschichten gestern analysiert ... gut, dann erhöhen wir hiermit die Quote.
Meine Reiseflut wurde von einer Besuchsflut abgelöst, meine eintägige Pause nutze ich nun und schreibe. Ich bin überrascht, wie sehr "meine Augen" sich an die Ukraine gewöhnt haben, dass ich über die Beobachtungen meiner Gäste, über die kleinen Unterschiede zum eigenen Land ganz erstaunt bin und mich dann erinnere, dass es mir vor fast 9 Monaten ähnlich ging, es aber nun so sehr zu meinem Alltag gehört, dass ich darüber nicht mehr überrascht bin.
Ich habe gar kleine Angewohnheiten übernommen, Semitschki (gegrillte Sonnenblumenkerne mit Spelzen drumherum, mit denen man eine riesen Schweinerei im öffentlichen Parkbankbild veranstalten kann) esse ich seit neuestem am liebsten auf der Parkbank. Warten wir ab, wann ich beginne auch HUGO BOSS - kürzlich entdeckte ich auch eine HUGO BOOS Tüte - Plastiktüten zu erstehen, um mit meinen 7 Sachen durch die Strassen zu ziehen.
Diese Taschen sind für mich ein osteuropäisches Phänomen (ich dachte lange Zeit es wäre ein genuin ukrainisches, sie wurden aber auch in Russland gesichtet), denn man sieht mindestens drei davon am Tag, an Bahnhöfen Tendenz steigend. Nun also ein osteuropäisches Phänomen: Häufig sind Damentaschen hier so unpraktikabel klein, dass die alltäglichen Dinge anderweitig transportiert werden müssen. Hierzu gibt es in den unterirdischen legendären Metrokaufhäusern, die ein Eigeneleben führen, aber dazu ein andermal mehr, eigene Verkaufsstände, die sich auf diese Reichtum und Prestige versprechenden Taschen spezialisiert haben. Ein Stand an dem es Plastiktüten zu kaufen gibt. Schon für diese kleinen Eigenheiten lohnt sich ein Besuch, leider nicht bei mir - bin bis Ende Juni ausgebucht.
Meine Reiseflut wurde von einer Besuchsflut abgelöst, meine eintägige Pause nutze ich nun und schreibe. Ich bin überrascht, wie sehr "meine Augen" sich an die Ukraine gewöhnt haben, dass ich über die Beobachtungen meiner Gäste, über die kleinen Unterschiede zum eigenen Land ganz erstaunt bin und mich dann erinnere, dass es mir vor fast 9 Monaten ähnlich ging, es aber nun so sehr zu meinem Alltag gehört, dass ich darüber nicht mehr überrascht bin.
Ich habe gar kleine Angewohnheiten übernommen, Semitschki (gegrillte Sonnenblumenkerne mit Spelzen drumherum, mit denen man eine riesen Schweinerei im öffentlichen Parkbankbild veranstalten kann) esse ich seit neuestem am liebsten auf der Parkbank. Warten wir ab, wann ich beginne auch HUGO BOSS - kürzlich entdeckte ich auch eine HUGO BOOS Tüte - Plastiktüten zu erstehen, um mit meinen 7 Sachen durch die Strassen zu ziehen.
Diese Taschen sind für mich ein osteuropäisches Phänomen (ich dachte lange Zeit es wäre ein genuin ukrainisches, sie wurden aber auch in Russland gesichtet), denn man sieht mindestens drei davon am Tag, an Bahnhöfen Tendenz steigend. Nun also ein osteuropäisches Phänomen: Häufig sind Damentaschen hier so unpraktikabel klein, dass die alltäglichen Dinge anderweitig transportiert werden müssen. Hierzu gibt es in den unterirdischen legendären Metrokaufhäusern, die ein Eigeneleben führen, aber dazu ein andermal mehr, eigene Verkaufsstände, die sich auf diese Reichtum und Prestige versprechenden Taschen spezialisiert haben. Ein Stand an dem es Plastiktüten zu kaufen gibt. Schon für diese kleinen Eigenheiten lohnt sich ein Besuch, leider nicht bei mir - bin bis Ende Juni ausgebucht.
Samstag, 8. Mai 2010
Zwei Rubel für ein Bier (Krim II)
„Haben Sie zwei Rubel“ fragt die Kioskbesitzerin, als Sie mir das Wechselgeld fürs Bier herausgibt, mein entgeisterter Blick entgeht ihr. Schob ich es das letzte Mal noch auf mein schlechtes Russisch, bin ich dieses Mal ganz sicher: Sie fragt nach Rubeln und nicht nach Hriwna der ukrainischen Währung, die auch in Sevastopol gängiges Zahlungsmittel ist. Diese kleine Begegnung ist nur Ausdruck eines Gefühls, das einen die ganze Zeit auf der Krim beschleicht, schon beim Besteigen des Zuges nach Sevastopol beginnt und sich bei jeder neuen Runde der Sevastopol Hymne verstärkt, die Krim mag vieles sein, dass sie auch ukrainisch ist, lässt sich 20 Stunden Zugfahrt fern von Kiew nur noch schwer vorstellen.
Während in Kiew die Oppositionsparteien glauben machen wollen, eine neue Protestbewegung ins Leben rufen zu können, die sie und das Land eint, um eigentlich neue Gräben aufzumachen, bereitet sich Sevastopol auf die kommende Urlaubssaison und die Parade zum 9. Mai, dem 65. Jahrestag des Sieges des Großen Vaterländischen Krieges vor. Denn die Hafenstadt mit stalinistischer Prachtstraße in weiß ist eine Heldenstadt, mit Stalingrad und Moskau wird sie genannt. Überall hängen Plakate an diesem ersten Maiwochenende, an dem es uns auf die Krim zieht. Die Siegesschleife orange-schwarz gestreift schmückt schon seit Wochen Damentaschen, Rückspiegel und Autotüren. Aber dass Tausende vor Kiews Parlament demonstrieren, dass es zu Ausschreitungen kommt, im Parlament Eier und Rauchbomben fliegen wegen der Flotte und der Stadt, davon merkt man hier nichts, wo es nur einmal Ärger gibt, als ich zu leger die Füße auf einer frisch gestrichenen Museumsbank ablege.[…]
Es ist eine stolze Stadt, mehrfach begegnen wir Sevastopolern, die uns musikalisch unterstützt durch die Hintergrundmelodie ihres Handys den Sevastopol-Walzer schmettern, singen träfe es nicht, nein sie schmettern ihn in einer Leidenschaft, die mich peinlich darin erinnern lässt, wie im letzten Jahr ein ukrainischer Alumni die Hymne „in Jene lebt sichs bene“ anstimmte und keiner der 20 Anwesenden einstimmen konnte, alles Jenaer und Jenenser ihres Zeichens. Sogar die Promenaden-Band wird für uns engagiert um den gerade erst gewonnenen deutschen Freunden die Hymne vorzutragen.[…]
Überall sieht man Matrosen, zum abendlichen Promenieren gestatten sie sich ein Eis, bevor sie in Reih und Glied in die Kaserne abmarschieren und sehnsüchtig den Mädchen am Kai nachsehen. Aber militärisch durchorganisiert ist an diesem Wochenende nur die Schlössertour an der Südküste Krims mit Fotostopp und geführtem Toilettenbesuch. Die Schönheit des englischen und französischen Stils bleibt mir Barbarin verborgen, dass ich den Stuck und Sonnenhof im Schloss nicht zu wertschätzen weiß, an der die Neuaufteilung der Welt nach dem 2. Weltkrieg stattfand, nimmt unsere Führerin gekränkt hin. Wir sind sicher nicht die ersten unkultivierten Ausländer, die lieber historische Fakten als Legenden der Zarenfamilie hörten und das possieren am Treppengeländer oder neben Stalins Unterschrift dankend ablehnen. […]
„Wo arbeiten Sie“, werde ich gefragt, „an der Kiew Mohyla Akademie?- Alles Propaganda dort“, dass die eigene Argumentation über die Abstammung der Slawen nicht ganz astrein ist, stört nicht, es geht auch nicht darum in ein Gespräch zu kommen, Argumente auszutauschen und sich für anderen Ansichten zu interessieren, eher wird die eigene Meinung lautstark vertreten. Sie soll provozieren, tut sie aber nicht, denn ich stehe diesem innernationalen Konflikt emotionslos gegenüber und so verlaufen die Provokationen zur Abspaltung der Krim ins Leere, zur These der mordenden Ukrainer an der polnischen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg oder Unkultiviertheit der ukrainischen Sprache, ganz zu schweigen vom ukrainischen Ursprungsland, das ein Minimum des heutigen Territoriums sei.
Der Versuch diesen Gesprächen zu entkommen, ist schwierig. Alle wollen den deutschen Gästen ihre Sicht der Dinge auf Kiew und die Weltpolitik, mindestens die russisch-ukrainischen Beziehungen an diesem sonnigen Montag, an der Bucht im traumhaften Balaklawa preisgeben, der mit Schaschlik und Sonnenbad so geschichtslos friedlich sein könnte.[…]
Während in Kiew die Oppositionsparteien glauben machen wollen, eine neue Protestbewegung ins Leben rufen zu können, die sie und das Land eint, um eigentlich neue Gräben aufzumachen, bereitet sich Sevastopol auf die kommende Urlaubssaison und die Parade zum 9. Mai, dem 65. Jahrestag des Sieges des Großen Vaterländischen Krieges vor. Denn die Hafenstadt mit stalinistischer Prachtstraße in weiß ist eine Heldenstadt, mit Stalingrad und Moskau wird sie genannt. Überall hängen Plakate an diesem ersten Maiwochenende, an dem es uns auf die Krim zieht. Die Siegesschleife orange-schwarz gestreift schmückt schon seit Wochen Damentaschen, Rückspiegel und Autotüren. Aber dass Tausende vor Kiews Parlament demonstrieren, dass es zu Ausschreitungen kommt, im Parlament Eier und Rauchbomben fliegen wegen der Flotte und der Stadt, davon merkt man hier nichts, wo es nur einmal Ärger gibt, als ich zu leger die Füße auf einer frisch gestrichenen Museumsbank ablege.[…]
Es ist eine stolze Stadt, mehrfach begegnen wir Sevastopolern, die uns musikalisch unterstützt durch die Hintergrundmelodie ihres Handys den Sevastopol-Walzer schmettern, singen träfe es nicht, nein sie schmettern ihn in einer Leidenschaft, die mich peinlich darin erinnern lässt, wie im letzten Jahr ein ukrainischer Alumni die Hymne „in Jene lebt sichs bene“ anstimmte und keiner der 20 Anwesenden einstimmen konnte, alles Jenaer und Jenenser ihres Zeichens. Sogar die Promenaden-Band wird für uns engagiert um den gerade erst gewonnenen deutschen Freunden die Hymne vorzutragen.[…]
Überall sieht man Matrosen, zum abendlichen Promenieren gestatten sie sich ein Eis, bevor sie in Reih und Glied in die Kaserne abmarschieren und sehnsüchtig den Mädchen am Kai nachsehen. Aber militärisch durchorganisiert ist an diesem Wochenende nur die Schlössertour an der Südküste Krims mit Fotostopp und geführtem Toilettenbesuch. Die Schönheit des englischen und französischen Stils bleibt mir Barbarin verborgen, dass ich den Stuck und Sonnenhof im Schloss nicht zu wertschätzen weiß, an der die Neuaufteilung der Welt nach dem 2. Weltkrieg stattfand, nimmt unsere Führerin gekränkt hin. Wir sind sicher nicht die ersten unkultivierten Ausländer, die lieber historische Fakten als Legenden der Zarenfamilie hörten und das possieren am Treppengeländer oder neben Stalins Unterschrift dankend ablehnen. […]
„Wo arbeiten Sie“, werde ich gefragt, „an der Kiew Mohyla Akademie?- Alles Propaganda dort“, dass die eigene Argumentation über die Abstammung der Slawen nicht ganz astrein ist, stört nicht, es geht auch nicht darum in ein Gespräch zu kommen, Argumente auszutauschen und sich für anderen Ansichten zu interessieren, eher wird die eigene Meinung lautstark vertreten. Sie soll provozieren, tut sie aber nicht, denn ich stehe diesem innernationalen Konflikt emotionslos gegenüber und so verlaufen die Provokationen zur Abspaltung der Krim ins Leere, zur These der mordenden Ukrainer an der polnischen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg oder Unkultiviertheit der ukrainischen Sprache, ganz zu schweigen vom ukrainischen Ursprungsland, das ein Minimum des heutigen Territoriums sei.
Der Versuch diesen Gesprächen zu entkommen, ist schwierig. Alle wollen den deutschen Gästen ihre Sicht der Dinge auf Kiew und die Weltpolitik, mindestens die russisch-ukrainischen Beziehungen an diesem sonnigen Montag, an der Bucht im traumhaften Balaklawa preisgeben, der mit Schaschlik und Sonnenbad so geschichtslos friedlich sein könnte.[…]
Freitag, 7. Mai 2010
Zwei Rubel für ein Bier (Krim I)
Als ich gerade noch durch die Nacht schlich zu Sophia, um die Wachen meines Gästehauses nicht zu wecken morgen in aller Frühe, wenn mein Flieger Richtung Deutschland geht, roch ich es, was mir alle prophezeit hatten: den Mai in Kiew. An jeder Ecke blüht der Flieder, die Kastanienblüten kleben an den Sohlen fest und Schwalben ziehen zirpend ihre Runden über den Unihof. Er ist da; der Frühling und heißt hier eigentlich Sommer, so warm sind die Abende, voll und wabernd, mit Straßenmusik und Straßenbier, ohne deutschen Dauerregen und Kalte Sophia und wie sie alle heißen diese Kaltwetterperioden. […] Nur mit der Kiewer Luft kam auch mein Räuspern wieder, das seit Czernowitz mein ständiger Begleiter ist und ich eigentlich hoffte auf der Krim zu lassen.
Ja, die Krim - Ausgangspunkt meiner neuen Geschichte - die Massenaufläufe dieser Tage produziert, wie sie in der Ukraine sonst nur noch zu kostenlosen Popkonzerten oder Dynamospielen möglich sind. Die Bilder der Verhovna Rada getaucht in Eigelb sind um die Welt gegangen, während sich in Sevastopol kein Mensch um die Aufregung in der ach so fernen Hauptstadt kümmert, denn gefühlt sind Moskau und St. Petersburg sehr viel näher. Und so heißt es hoffentlich morgen schon, was schon vor einer Woche zu lesen sein sollte:
Zwei Rubel für ein Bier (Krim I)
„Ich verstehe Sie nicht Mädchen, was wollen Sie?“ Dreimal versuchte ich meinen Wunsch verständlich zu machen: Ich wollte ein Lvivskie, ein westukrainisches Bier, schmackhaft, würzigherb und in diesem Moment vor allem eines: kalt. Genau 50 cm trennten mich von diesem kleinen Glück, doch erst die Frau des Verkäufers konnte helfen. Denn klar, in Sevastopol ist nicht zwangsläufig das, was die Flasche vorgibt zu sein, hier heißt das Bier wie die Stadt aus der es stammt, Lvovskie aus Lvov und nicht ukrainisch Lviv. Und damit sind wir mitten drin im Sprachenstreit, der hochaktuell dieser Tage durch einen weiteren die Gemüter erhitzenden Punkt angereichert ist: Die russische Schwarzmeerflotte und ihre Stationierung um weitere 30 Jahre und jedem ukrainischen Ukrainer ein Dorn im Auge, ein Stachel im Fleisch, der vor Augen hält, dass die Krim zwar seit Chruschtschows Geschenk dazugehört, aber so richtig vielleicht dann doch nicht. So wundert es kaum, dass ich an diesem Wochenende auf der Krim politische Lehrstunden erhielt, wie schon seit dem Studium nicht mehr.
Denn eines sollte ich begreifen, als das Mädchen aus Kiew, das an der Mohyla-Akademie lehrt, der ukrainischen Kaderschmiede, die Krim ist alles, Beginn der Seidenstraße nach Asien, griechische Siedlung, türkisch geprägte Stätte! Aber eines ist sie nicht: ukrainisch. […]
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