Montag, 26. April 2010

Mein Ritter mit dem traurigen Antlitz

Während im Hintergrund ein Lied dudelt, über das ich mir schon Gedanken mache, seit dem es in meinem Emailfach landete, versuche ich die Eindrücke der letzten Zeit nicht wieder in den nächsten Tag zu schieben, an dem ich wieder all die vielen kleinen liegengebliebenen Aufgaben der letzten Zeit abarbeite, die einen so wenig befriedigen und doch dazuführen, dass die wichtigen Eindrücke und Geschichten verdrängt werden, bis man sich ihrer nicht mehr erinnert. Aber nun eigentlich zu meiner letzten Reise in die Bukowina eines Paul Celans und einer Rose Ausländer, die ich gern überschreiben würde mit:

Mein Ritter mit dem traurigen Antlitz

So beschreibt Frau Zwilling ihren nächtlichen Gast Herrn Zuckermann in einem preisgekrönten Dokumentarfilm aus den 1990er Jahren über die letzten zwei jüdischen Überlebenden aus Czernowitz. Und in der Tat ist Herrn Zwilling, dessen Grab wir besuchten, eine Traurigkeit ins Gesicht geschrieben, die man im modernen Czernowitz lange vergeblich sucht, bis man in die Randbezirke zum alten jüdischen Friedhof fährt, der seinem kompletten Verfall preisgegeben ist, wie alles eigentlich. Der Davidstern auf der Synagoge, der in einem tiefblauen Frühlingshimmel auf halb acht hängt, die Eingangspforte verriegelt und verrammelt und das Licht, das durch die zerbrochenen Fenster des Daches bricht, die Gräber, die die Geschichte einer Stadt schreiben, die ihren Bewohnern genau zwei Museumsräume wert sind, hat mich sprachlos gemacht. Diese Geschichtsvergessenheit, dieses Leben im hier und jetzt, in einer Stadt, die einmal mehr als 40 Prozent von jüdischem Leben geprägt war und die heute wie eine typische Stadt des alten österreichischen Kaiserreichs wirkt, die auch in Tschechien und Polen liegen könnte und einen Charme von Verfall ausstrahlt. Die berühmte Synagoge an prominenter Stelle ist seit Sowjetzeiten das städtische Kino und die Frage bleibt, welche der Diktaturen ihr mehr Gewalt antat.

Wie so vieles auf dieser Reise, die mir vorkam, als wäre ich Wochen und nicht 3 Tage unterwegs, habe ich Frau Zwilling und Herrn Zuckermann nur in Ausschnitten wahrgenommen, weil ich alles mitnehmen wollte, um ja nichts zu verpassen und so war es im Rückblick wie ein Rausch, der auf der 16stündigen Zugfahrt begann, die mir das metallene Herz eines 18jährigen Soldaten einbrachte, der auch am allerletzten Abend seines einjährigen Dienstes nicht zu trinken wagte. Ich verlor es genau 5 Minuten nach Übergabe, alles Suchen unter den Betten unserer altersschwachen Unterstöckler half nichts, es war weg. […] Es war mit Abstand die lustigste Zugfahrt meines Lebens, unser Ausländerruf verbreitete sich in Windeseile und brachte uns beinahe eine freie Fahrt im Coupe ein, weil der Schaffner nicht glauben wollte, dass wir uns Platzkart, also dritte Klasse antun, Äpfel von Mitreisenden und neugierige Blicke, vor allem aber schöne Begegnungen und viel Übung meiner Russischkenntnisse

Auf Regen folgte Sonne, auf Kälte Sommersprossen und auf eine Einladung zum Kaffee auch immer ein Cognac. Grund unserer Reise war die Eröffnung des deutsch-ukrainischen Kulturzentrums „Gedankendach“, an der Czernowitzer Uni, die mit einer Instrumental-Gesang und Lifemalerei begann, umrahmt von unendlichen Reden, die uns bis ins Mark erfrieren ließen in einem 10 Grad abgekühlten Czernowitz und das Wochenende im Anschluss daran mit Cognac einläuteten. Es brachte uns auf jeden Fall eine Einladung der besonderen Art ein: Ein Maler, der uns in sein Atelier einlud und der sich die alte Stadt zu eigen macht, in alten Jugendstilhäusern herumstreicht und Beispiele deutscher und jüdischer Kultur in seinem Studio sammelt. Wir waren so angetan von ihm, wie er von uns. Wir schienen ihn zu verjüngen, auf unseren Fotos erkannten wir ihn kaum wieder. Er zeigte uns Spuren eines Czernowitz, die vor alltäglichen Augen verborgen bleiben, alte Inschriften in Hausfluren, Treppengeländer Wiener Art, Mosaike mit Namen des Besitzers in gewöhnlichen Aufgängen.

Wir verließen Czernowitz in strahlendem kalten blau und ich mit einer fetten Grippe, die versprochene heilende Wirkung des Cognac hatte versagt und mittelalterliche Stadt Kamenets-Podolsky nahm ich nur noch fiebrig wahr, hübsch anzusehen mit seinen armenischen, polnischen, jüdischen und türkischen Einflüssen, leer um diese Jahreszeit, kaum Touristen und mit dem winzigen Gefühl die ersten Entdecker dieser alten Straßen gewesen zu sein, machten wir uns noch am selben Abend auf nach Stari Konstantinow, wo Erwin wohnt und unser Gastgeber für die Nacht. Erwin, Südtiroler und Tischler in fünfter Generation, der glaubte in der Ukraine ein gutes Geschäft machen zu können und der mittlerweile nur noch bemitleidet wird, wenn er erwähnt, dass er hier versucht Fuß zu fassen. Erwin, der sein Mehl aus Italien importiert, vom Kaffee abgesehen, dessen jeder zweite Satz in einer Tirade über die unwirklichen Bedingungen des Lebens hier beginnt, ist seit 2004 in der Ukraine und sollte doch besser wieder gehen, aber kann wohl nicht davon lassen. Ein gutes Beispiel nicht zu lange Wurzeln schlagen zu wollen.


Und so machten wir uns auf zur letzten Minibusreise zurück nach Kiew, denn dieses Nest hatte außer dem Kreisverkehr nichts zu bieten - abgesehen vom spektakulär selbstgemalten Kinoprogramm - wo wir an halbverfallenen Dörfern vorbeizogen, an Pferdewagen, an Traktoren, die kleine schwarze Wölkchen in den blauen Himmel pusteten und von Störchen umringt waren, die in der frischen Erde pickten, wo wir neue neugierige Reisende trafen, die schmierigen Köpfe unserer Vordermänner genau beobachteten und nach 5 Stunden in einem unwirklich pulsierenden Kiew ankamen. Aber der Eindruck kann auch vom Fieber kommen.

Schön ist es hier zu sein, sehr schön und trotzdem habe ich das Gefühl, dass es mich weiterzieht, wohin, das ist die große Frage, die mich lange Geschichten zu später Stunde schreiben lässt, um mir nicht darüber das Hirn zu zermartern.

Danke für die Geduld derjenigen, die bis zum Ende durchgehalten haben und eine geruhsame Nacht aus Kiew

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