Sonntag, 19. Juni 2011

nach vier Wochen

irgendwie habe ich das Gefühl, die letzten Einträge nicht so stehen lassen zu können, warum nicht nutzen, dass meine Deutschland-Wiederkehr fast 4 Wochen zurück liegt. Aber was schreiben, wenn die Inspiration fehlt. Schreiben tue ich nun beruflich. Eine schlechte Ausrede, zugegeben. Denn mein erster Schreib-Auftrag ging erst gestern ein. Ich schreibe nicht einmal mehr Emails. Jede Zeile eine Fake, klingt nicht echt, nicht nach mir und dem, was ich denke, seitdem ich hier bin. Aber was ist es denn, das ich denke? Ist das Teil des Ankommens?
Kiew ist so fern und doch beherrscht es mich immer noch. Ich bringe Mittagsrunden immer noch zum Schweigen mit meinen Maschrutka-Reiseanekdoten, belausche russische Gespräche im Zug und fühle mich wie ein heimlicher Verbündeter, nutze nur unter Protest andere Kaffeetassen als meine Matrjoschka-Motive, heute beim Thai dachte ich kurz der Hühnerspieß könnte es mit einem Schachlik aufnehmen. Aber es ist vorbei.
Ich habe mich eingerichtet und damit kam mir der Sinn, nein eher das Gefühl fürs Schreiben abhanden. Dabei ist es nicht so, dass es keine Geschichten gäbe in dem Mikrokosmos Jena, der zwei Jahre auf mich gewartet zu haben scheint. Manche sind dicker, andere haben Kinder, aber vielleicht war auch das schon immer so.
Den Schock darüber habe ich überwunden. Und vielleicht hat es mir die kleinen skurrilen Begebenheiten, die mir in Kiew eine Geschichte wert gewesen wären, näher gebracht, als sie es je waren. Da ist zum Beispiel Rolf: Er kam irgendwann Mitte der 80er Jahr ins Damenviertel, fand keinen Platz in der Kneipe, die heute seine ist. Musste eingeführt werden, wie in einer Freimaurerloge, ohne Leumund ging nichts in der Wartburg einer grauen Vorzeit, in der die Stammtische, die Bekanntschaft alles waren, die Bedienung ukrainischen Regeln folgte, vielleicht fühle ich mich deshalb so wohl [...] Dabei kommt er mir vor, als sei er hier geboren. Als haben Generationen von Rolfs hinter dem Tresen gestanden, der auch vor 30 Jahren nicht anders war. Es gibt keine Karte, sie steckt in Form kleiner Kärtchen, liebevoll mit der Hand geschrieben, neben Rolf, es gibt Stammgäste, sie duzen Rolf. Manche kommen jeden Abend, der Taxifahrer, der immer ein Wasser und einen Saft an seinen Tisch gestellt bekommt, jeden Abend das gleiche Ritual. Dort darf niemand sitzen, wenn der Fahrer kommt.
Ich bin Teil dieses Rituals geworden, bestelle erst ein Radler und irgendwann am Abend schauen wir einander verschwörerisch an und nicken: Eine Runde Eierlikör. Es gibt kaum ein schrulligeres Getränk, nur in Schokobecher versteht sich, es passt nirgendwo besser hin, als in dieses Lokal, das einen Geist atmet, wie es einst gewesen sein muss, in diesem Viertel, bevor die Immobilienspekulanten den Wohnraum modernisierten, der seinem sicheren Verfall preisgegeben war. Verfall [...]
Eine Freundin aus Kiew schrieb kürzlich, sie muss für ihren Forschungsaufenthalt in den USA alle Impfungen nachweisen und diese nun peu à peu nachholen, da ihre Dokumente darüber fehlen. Ein Aufwand, ein so großer Aufwand, dass ihr die Schwester vorschlug die Papiere doch ganz einfach zu fälschen. Sie fragt sich bei dieser Anekdote erneut, wie es um die Zukunft ihres Landes in Europa bestellt ist und ich muss schallend lachen. Vor vier Wochen hätte ich noch mit dem Kopf geschüttelt. Nun lache ich. Fortschreitende Verblödung das Ankommen, das alles Vergangene im guten Licht zurücklässt. Sogar den Betrug. Ein Selbstbetrug versteht sich.

Donnerstag, 26. Mai 2011

lost

Ich hätte nie gedacht, dass es mich so erwischt. Alle geben sich die größte Mühe. Nur ich nicht. Ich bin fern so fern in meinen Gedanken. Meine Welt ist nicht hier. In Gedanken entsteige ich einer schwülen, satt-getränkten Metro, nehme den rechten Ausgang mit der Rolltreppe und wundere mich noch immer über das Schild, dass keine Weihnachtsbäume auf der Treppe erlaubt sind; laufe an der kleinen Oma vorbei, die immer hinter mir her ruft, weil ich ihre welken drei Kräuter genauer betrachten soll, hinaus auf den Kontraktova. An den Kiosken vorbei, der staubigen warmen Luft, die immer nach Autoabgasen riecht, im Hintergrund spielt wieder jemand "Kino"-Songs, weiche dem Verkehr wie den Straßenschäden aus. Das ist mein Nachhauseweg. Nachhause. Nie hätte ich gedacht, dass es mich so erwischt. Aber Jena ist mir nicht nur fremd, es ist mir zuwider. Wie ein zu enger Schuh, der kneift und jeder Schritt daran erinnert. So lief ich altbekannte und doch neue Wege. Alle geben sich Mühe. Nur ich nicht. Vielleicht morgen.

Montag, 23. Mai 2011

Auf Wiedersehen in Kiew

So nun ist es soweit. Der vorerst letzte Eintrag aus meiner Kiewer Fensterbank, wo mein Apple und ich stehen, da das Netz nicht weiter in das Zimmer hineinreicht. Vorerst schreibe ich. Vorerst denke ich. Zwei Jahre sind zu lang um darüber nachzudenken, dass es das letzte Mal sein könnte. Vorerst also. Abschied ist komisch. Taub fühlt er sich an. Verloren sehe ich aus, sagte eine Studentin auf meiner Party. Verloren. Ja, vielleicht fühlt er sich auch ein bißchen verloren an.

So lang hab ich auf den Moment gewartet, in etwas Neues zu fahren, zu starten. Nun fällt er so schwer dieser Moment.

Nun ja, sagen wir also Auf Wiedersehen. Auf ein Wiedersehen in Kiew.

Jana

Dienstag, 10. Mai 2011

сентиментальная Яна

Es ist also so weit. Ich bin offiziell sentimental. Was bleibt da noch hinzuzufügen. Wenig. Heute in zwei Wochen, ist das Abenteuer Ukraine abgeschlossen.

Gestern als ich ein Mädchen wieder traf, die mir im ersten Jahr sehr ans Herz gewachsen war und mir irgendwie abhanden gekommen war im zweiten; sie mir gestand, dass sie sehen wollte, was sich verändert hat, wie ich mich verändert habe, war ich überrascht, welches Bild ich abgab. Als sie mich kennenlernte, sah sie einen Menschen, der ganz instinktiv erst einmal handelte wie im großen Abenteuer und dann darüber nachdachte, welche Konsequenzen daraus erwachsen würden. Nun ist es anders, ich wäge ab, erwachsender komme ich ihr vor. Erwachsener also. Ja vielleicht ist das so, wäre mir auch in Deutschland vielleicht passiert. Musste ich dafür in die Ukraine gehen? Das Land, mit dem ich vor allem eins verbinde: starke Emotionen. Halb geht nicht, die Skala rauf und wieder runter, im ständigen Wechsel, ein dazwischen, ein stoisches Annehmen gibt es nicht. Kann man zwei Jahre wirklich so simpel zusammenfassen? [...] In gebrochenem Englisch erklärt mir eine Andere, dass sie nach Kanada auswandern will, weil das Leben in der Ukraine gut, aber dort besser ist. Auch wenn sie hoffe, dass der Wohlstand eines Tages in die Ukraine schwappen wird, sucht sie ihr Glück lieber gleich weit weg, bevor sie sich hier verliebt und heiratet und dann nicht mehr geht. Ich bin immer noch ratlos, was ich in solchen Gesprächen erwidern soll. Wenn ich mich ärgerte, war ich froh auf Zeit zu spielen. Das trifft es im doppelten Sinne. Ich spiele für eine gewisse Zeit und auf Zeit, weil die Rückkehr eingebaut ist. Ich kann immer gehen. Für mich sind die Grenzen immer die offenen, die das Abenteuer so lustvoll machen, denn der heimische Pass verspricht Sicherheit.
Aber bin ich hier je angekommen? Ich spreche immer noch gebrochen Russisch, Ukrainisch 5 Worte. Am liebsten vermeide ich Situationen, in denen ich es anwenden muss. Wie kann man so ankommen in einer Gesellschaft? [...] Als gestern ein junges Mädchen in der Metro einem Veteranen den Platz verweigerte und die Dame neben mir in mir eine stille Verbündete zu sehen glaubte, nickte ich unbeholfen, verstand ihren Ärger auch ohne große Worte. Aber ein lauter Zuspruch wäre schöner gewesen selbstverständlich. In solchen Momenten ist der Ärger groß über mich, über meine Zier, über meine Faulheit, meine Feigheit und nicht über das Land, dessen Reiz mir aus eigener Dummheit in seiner Gänze verschlossen bleibt.

Sonntag, 8. Mai 2011

eine Kaffeefahrt nach Transnistrien

gibt es nicht, wäre aber eine Überlegung wert. Denn nichts aber auch gar nichts kam mir auf unserer Reise beschaulicher vor als Tiraspol, die Hauptstadt eines Fleckens Erde, der sich nach blutigem und zähen Krieg Anfang der 1990er Jahre vom gerade unabhängig gewordenen Moldawien abspaltete. Die Приднестровская Молдавская Республика (Transnistrische Moldauische Republik), wie sie offiziell heißt, wird von keinem Land der Erde als unabhängiger Staat anerkannt, ist mini und schlängelt sich an der ukrainisch-moldauischen Grenze den Dnister entlang.

Das Land mit hohem Skurrilitätsfaktor: das Wappen mit Hammer und Sichel ausgestattet, ehrt noch immer Helden der Arbeit im Jahr 2010, führte 1994 den Rubel als Währung ein und unterhält enge Beziehungen zur Russischen Föderation, wie unschwer an den großen Plakaten mit Putin und Medwedew zu erkennen ist, die die proper gepflegten Prachtstraßen säumen. Die Tennis- und Fussballclubs, Supermärkte und Telefonanbieter tragen symbolträchtig nur einen einzigen Namen: Sheriff. Wem Sheriff gehört ist unklar, dem Sohn des Präsidenten wird gemunkelt, der auch die über alle Grenzen bekannte Cognac-Fabrik "Kvint" führt. Ein Meisterstück postsowjetischer Privatisierung von ehemaligen Staatseigentum eben.

Angepriesen als die letzte sozialistische Bastion der ehemaligen Sowjetunion fuhren wir pünktlich zum 1. Mai nach Tiraspol in heller Aufregung einer Parade. Und auch hier fand das Abenteuer vorrangig in meinem Kopf statt, denn nicht mal rote Nelken weit und breit. Nichts außer ein paar belgischer Touristen, mit der gleichen Idee gestrandet im einzigen Hotel der Stadt fassungslos ohne Klobrille und durchsichtigen Toilettenpapier zu sein, berichteten sie von ihren Osteuropa-Erfahrungen, die wir - erfahren wie wir sind - müde manchmal etwas arrogant belächelten, manchmal schallend. Sie hatten es immerhin ohne eine einzige Vokabel Russisch dorthin geschafft, eine wirkliche Leistung zugegeben und schienen sich auch nicht daran zu stören, dass der Kurs mit dem die Kellnerinnen ihre Euros mit zunehmender Stunde und Wodkakonzentration in Rubel umtauschten, immer schlechter für sie ausfiel.

Nach dem wir die Prachtstraße einmal hoch und einmal wieder am "Haus des Sowjets" herunter flaniert waren nicht unbemerkt von Eisverkäuferinnen, war der Entdeckerdrang gestillt. Selten hatte ich ein Abenteuer, das so sehr nach biederem Blümchenkaffee roch.

Samstag, 7. Mai 2011

Kopfkino

das meiste spielt sich in meinem Kopf ab. Das war schon immer so. Je größer die Erwartungen und gemalten Bilder in meinem Kopf, desto größer die Ernüchterung, desto entschiedener meine Standpunkte, von denen ich nur schwer wieder abrücke. Die durchdachte Bekanntschaft zu meinem ukrainischen Schauspieler aus der Provinz hat so genauso wenig Chancen, ist abgehakt, bevor sie überhaupt begonnen hat, wie das beschauliche Moldawien, das ich mir in den buntesten Farben, in den schauerlichsten Gangstergeschichten malte, dass alles was kam, nur enttäuschen konnte.
Dabei liegt das nicht an Moldawien, das enttäuschte, sondern einzig an mir, an meinem Kopfkino.

Noch nie zuvor hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich noch alles im Leben erreichen wollte, bis ich die winzige Maschine der Moldovan Airline nach Chisinau bestieg, die so klein war, dass den Reisenden selbst das Handgepäck abgenommen wurde, da es keine Verstaumöglichkeiten gab. Eingeklemmt in seine Fahrerkabine schaute uns der Kapitän an, der wirkte als müsse er den Kopf einziehen. Aber selbst diese Erfahrung entpuppte sich als harmlos.
Plötzlich, so dachte ich, verstanden zu haben, warum mich alle Ukrainer so entgeistert anguckten, als ich von meinem Reiseziel berichtete. "Was willst du da" war die zweithäufigste Frage nach "was gibt es dort?", immer schön den Osten weiter verschieben. Dabei ist Moldawien geographisch westlicher, was aber nicht davon abhält, den kleinen Nachbarn abzuwerten.

Unter uns im Schein der Abendsonne lagen viele kleine Quadrate mit unterschiedlicher Färbung, die auf unterschiedliche Nutzung hindeuteten, akkurat gezogene Winkel auf viel Liebe oder Pragmatismus: Es schien, als sei kein Flecken Erde ungenutzt. Als ich während der Reise durchs Land das ein oder andere Mal alte Leute den Karren ziehen sah statt ihrer Pferde, die ausgemergelt am Rand standen, wusste ich warum. Moldawien ist ein Agrarland, auch wegen der Not und Alternativlosigkeit. Aber kann man es seinen Bewohnern abgesehen von abgetragener Kleidung ansehen? Ich würde sagen: nein. Die Menschen lachen wie andernorts, flanieren und freuen sich an der Frühlingssonne. Und das ein gesamter Bus Anteil daran nimmt, ob ich die richtige Haltestelle in Chisinau finde und meinen Schuh sucht, den ich bei einer Umräumaktion bei beschränktem Platz verlor,  habe ich so in Kiew noch nicht erlebt und hat schön aufgeräumt in meinem Kopf.

Schluss mit Abschied

mir geht dieser ständige Foto-Abschiedsmarathon auf den Keks. Zumal meine letzte Reiserei nach Moldawien den Druck erhöht hat, ständig Fotos nachzulegen. Aus diesem Grund höre ich offiziell auf, mich zwanghaft zu verabschieden und schreibe lieber wieder Geschichten über meine letzten Erlebnisse, die sich zwar für meinen Geschmack ziemlich unspektakulär ausgingen. Aber eine Reise in ein Land, von dem mir alle Ukrainer abrieten, geschweige denn ins sowjetische Vorzeigeland Transnistrien, das nach der internationalen Staatengemeinschaft gar kein Land darstellt und doch ganz real eigene Grenzkontrollen durchführt, eine eigene Miliz und Währung hat, sind einen Blogeintrag wert.

In diesem Sinne, die letzten zwei Wochen sind eingeläutet
Jana

Samstag, 30. April 2011

Russischer Rock am Kontraktova (24)

zugegeben der junge Mann fiedelt, aber die Rockmusik beginnt spät - natürlich spät. Wenn alle Blitze versagen vor dem Geschunkel der Massen, der Flaschengeklirr am Skorovoda Denkmal und man leise mitsummt, weil da diese kleine Textunsicherheit nicht zu verbergen ist.

Freitag, 29. April 2011

Elitni (25)

alles ist in diesem Land Elitni, Elit Taxi, Elitni Klub und Restaurants sogar die Butter.

Donnerstag, 28. April 2011

Georgisches Essen (26)

eigentlich waren es immer nur Sakuski, aber ich werde dort hinfahren eines Tages und ich werde essen und essen und essen.

Mittwoch, 27. April 2011

Fortotschki(27)

Sie werden aussterben, soviel ist sicher. Und bevor ich sie in einigen Jahren suchen muss, habe ich sie für mich festgehalten, die kleinen Belüftungsfenster, die bei knisternder Kälte und summenden Öfen für Luftzirkulation sorgen. Denn weder gegen die Kälte ist ein Kraut gewachsen noch gegen die Heizkörper, die einmal zentral an und wieder abgestellt werden. Ein dazwischen gibt es nicht, nur die kleinen Fortotschki, die ich vermissen werde.

Dienstag, 26. April 2011

Wolgas (28)

Ich habe nichts am Hut mit Autos, ich kann kaum eines vom anderen unterscheiden. Aber eines hat es mir angetan: die alten sowjetischen Straßenschiffe -  selten fuhr ich mit ihnen, aber das Gefühl immer das Gleiche; Erhabenheit über die Technik von heute, diese Klasse wird heute kaum mehr erreicht. Sollte ich irgendwann einmal hinter einem Steuer sitzen, werde ich mir immer vorstellen, es wäre ein Wolga.

Montag, 25. April 2011

Die Provinz (29)

Mir hat einmal eine Deutsche entgegnet, als ich über ihre Provinzstadt spottete, dass wir zwar all die Vorzüge einer Hauptstadt haben mögen, aber sie erlebe etwas ganz anderes: die Ukraine. Sie hatte nicht unrecht. Ich habe keine Vorstellung, wie ich den Winter nur mit Kohl, Kohl und manchmal auch Kohl überstanden hätte, weil es einfach nichts anderes gab. Ich passe mich weder dem Dresscode noch dem gesellschaftlich akzeptierten Wertekanon an, komme und gehe, wann und wem ich will - an Orten, wo man als Ausländer eine Attraktion ist undenkbar.

Sonntag, 24. April 2011

Podol (30)

легендарный подол - legendäres Podol, wie es in meinem russischen Stadtführer heißt. Mein Stadtteil. Die Unterstadt am Dnepr, wo früher das Handelszentrum war und heute Straßenmusik zu jeder Tageszeit, einen verruchten Ruf hat Podol oder ukrainisch Podil, weil es das junge, das alternative Volk anzieht. Gern gelebt und gearbeitet in dieser Atmosphäre habe ich und jetzt, wo es endlich Frühling wird, kann ich mir mich kaum irgendwo anders vorstellen.
Hinter dem halbrunden Gebäude, dem repräsentatives Universitätsgebäude der Mohyla-Akademie, steht ein Eckhaus und genauer das Gästehaus in dem ich wohne.

Freitag, 22. April 2011

Donnerstag, 21. April 2011

Kiew im Frühling (33)

wenn er denn endlich kommt, dann explodiert er und alle und alles mit ihm. Die Stadt erstrahlt. Ich strahle.

Mittwoch, 20. April 2011

Der Aber(Glaube) (34)

Es gibt tausend Dinge auf die man achten sollte: nicht auf einer Türschwelle Gespräche anfangen zum Beispiel. Ich habe ein Jahr gebraucht, um zu verstehen, warum mein Zimmernachbar immer nervös aufsprang, wenn ich an der Schwelle zur Tür ein Gespräch begann, entweder er zog mich hinein oder die Unterhaltung wurde draußen fortgeführt. Wer wann wem wie viel einschenken muss, wo dabei das Glas zu stehen hat und nun vor Ostern geweihte Zweige, die die Häuser vor dem Bösen schützen - sogar vor dem Blitz, wie mir versichert wurde.

Dienstag, 19. April 2011

Montag, 18. April 2011

das Büro (36)

das Büro der Deutschen, wie es hier auch zuweilen genannt wird. Was habe ich hinter dieser Tür gefroren, geflucht und manchmal auch gelacht. Staubig ist es geblieben, ordentlicher und offener zwar, aber kein Ding gemütlicher. Ich friere immer noch. Seitdem ich die Vorhänge entsorgt habe, ist ein Arbeiten bei Sonnenschein eine Herausforderung. Manche meiner Entscheidungen rächen sich eben irgendwann. Aber dieser Sowjet-Teile war ich sicher, nie wieder zu vermissen. Nun ja...
und was habe ich an diesem Schloss herumgewürgt, einmal fiel die Klinke von der anderen Seite ab oder ich versuchte es mit dem falschen Schlüssel, der 5 dafür zuständige Personen auf den Plan rief meine Tür aufzubekommen, als Nummer 6 mit der Brechstange kam, hatte ich den Fehler bemerkt. Ach diese Deutschen!

Sonntag, 17. April 2011

der Spusk (37)

ich bin mindestens einmal die Woche hoch oder runter gewandert, am liebsten aber am Wochenende, wenn die Holpersteine von Massen von Flaneuren bevölkert werden und die Nippeshändler und - händlerin sich um Verkaufsplätze streiten. Der Andrievski Spusk soll nicht nur eine der ältesten Straßen Kiews sondern Osteuropas sein, sie verband die Ober- mit der Unterstadt. Die Steine wirken zum Teil, als wären sie seit erster Stunde dabei und bevor ich gleich klinge wie eine Reiseführer es besser könnte, schließe ich diesen Eintrag damit, dass mir dieser Stieg fehlen wird, mit seinen Straßenhunden und Händlern, Museen und Galerien, Bauruinen, Straßenlöchern und vor allem dieser Stimmung, die meine Erinnungsstütze der Fotos nicht einfangen kann.

Freitag, 15. April 2011

schnelle Rolltreppen (39)

wie oft ist es mir schon passiert, dass ich dabei war pünktlich zu sein, dabei aber nicht den Rolltreppenweg eingerechnet hatte, der an der ein oder anderen Metrostation weitere 7min macht. Ein Ärgernis, dabei sind sie so schnell, dass ich einige Anläufe brauchte um ein nur kaum verwackeltes Bild zu erhaschen.
Was werde ich mich langweilen auf deutschen Rolltreppen. Hier sind sie so lang und schnell, dass gleich mehrere Rolltreppen-Gezwinker-Momente mit der Gegenseite möglich sind. Gut sind auch jene, die Paraden und Opern zur Belustigung spielen. Man werde ich das vermissen!

Donnerstag, 14. April 2011

Die Auswahl an... (40)

... kleinen und großen Matrjoschki. Hach...

Mittwoch, 13. April 2011

Tag (41)

das Markttreiben wird mir fehlen, mit den Verkäuferinnen, die in unbeobachteten Momenten die eigenen Waren verköstigen, ständig herumbrüllen und einen zum Kauf von allen möglichen Dingen animieren wollen.

Dienstag, 12. April 2011

Die Tramwajs auf dem Kontraktova (42)

zugegeben, das Foto ist nicht ganz taufrisch. Die Temperaturen werden zwar immer noch nicht so recht einem Frühling gerecht, aber der Schnee ist längst weg und die Pelzmützen sicher verwahrt bis zum nächsten Jahr.
Aber zwei Exemplare so schön in Szene gesetzt in diesem Licht, das gelingt mir nicht alle Tage. Ich werde es vermissen, das Geruckel, das schnelle Anfahren und Geklingel bei Konkurrenz auf der Straße, die Billet-Verkäufer, die von Station zu Station durch die Tramway laufen, manchmal sogar die drei Löcher ins hauchdünne Papier stanzen, weil man sich zu doof - sprich westlich - anstellt.

„Willkommen im Gruselwunderland: Chernobyl- Tours hat sich was ganz besonderes für Sie überlegt“

Eine Woche habe ich gebraucht, eine Provinzreise in die Westukraine dazwischen geschoben, ein normales Arbeits-, Alltagleben gelebt, gelacht, geflirtet, getrunken, bis ich es aufschreiben konnte. Zu groß der Zweifel an der Reise, der Ekel an den Menschen, an der Inszenierung von etwas, dass ich immer noch schlecht in Worte fassen kann, weil ich es nicht verstehen kann, weil es sich schlecht verstehen lässt, weil die Bilder nicht echt waren und doch sind sie es. Eine Stadt, eine Schule, eine Turnhalle, ein Schwimmbad, ein Leben das vor 25 Jahren abrupt aufhörte. Und dann ist da dieser Grusel.


Vor 25 Jahren genau ereignete sich eine zwei Stunden Fahrt von Kiew entfernt eine atomare Katastrophe, die einen riesigen Landstrich unbewohnbar macht für Jahrhunderte und die Welt den Atem stocken ließ. So oder so ähnlich lesen sich Reportagen, Artikel und Fotobebilderungen dieser Tage, denn am 26. April jährt sich die Katastrophe, alle Touren in die Zone sind bis Mai nur noch Journalisten vorbehalten. Wir haben eine der letzten Touren erwischt.

 „It is fabulous“ sagt er und misst die Helligkeit aus, als wir in einen Raum kommen, an dem die Parteifunktionäre auf Leinwand gebannt in Reih und Glied stehen, davor Schutt, so malerisch – so malerisch eine Katastrophe sein kann. Und aus mir bricht heraus „ It is made for you and your story“. – Pause. Unverständnis. – Alle rennen weiter zum nächsten Bild, auf der Suche des einzigen, einzigartigen Bildes, der Grusel, der nach Fukushima Konjunktur hat immer im Nacken. Es gibt diesen Moment, dieses Bild nicht , schon Generationen von Journalisten, Fotographen waren hier, sie vereint der Blick wie man den Grusel in die Welt hinaustragen kann hinaus aus der Zone, die nach zwei Sonderkontrollen erreichbar ist.  Die geführten Routen sind gleich, Panzer- und Räumgeräte-Wiese, verlassener Kindergarten im Wald versteckt, Kühlungsbecken, der so frühlingshaft friedlich vor uns lag, der Sarkophag und schließlich die verlassene Stadt. Prypjat – Highlight der Lehrstunde: Katastrophe in mehreren Teilen. [...]Kinderbettchen, davor ein paar Hausschühchen, auf dem Boden zerstreute kyrillische Buchstaben, ein Springseil, eine Tafel – der perfekte Winkel für ein Bild. Kälte. Kälte eines Ortes an dem es vor 25 Jahren zuletzt Leben gab.

[...] Wegschmeißen will sie alles und ich gehe beunruhigt mit einem Geigerzähler meine Lieblingsschuhe entlang. Der Piepton bleibt stabil bei einem Wert, der nicht beunruhigend ist, nicht wie bei einem kurzen Halt an einem harmlos scheinenden Birkenwald, der friedlich einem neuen Frühling an einem der ersten warmen Wochenenden entgegenwächst, das Piepen hat sich zu einem schrillen nervösen Dauerton entwickelt, die Türen des Kleinbusses sind noch geschlossen und es ist ganz still in diesem Moment.

Ganz still ist es auch in einer früheren 50 000 Menschen-Stadt, kalt ist es in Gebäuden, die fluchtartig aber friedlich verlassen wurden. Die Unordnung stammt von den Aufräumarbeiten, die zerborstenen Fenster und überall Natur, die sich hineinwächst in diese Stadt. Überall sprießen Birken. Überall Rost. An manchen Stellen tropft noch der Winter durch die Decken. Eine sowjetische Bilderbuchstadt war dieses Prybjat einst, gebaut im Dienste der Atomkraft. Man muss kein Atomkraftgegner sein, um hierher zu kommen, aber es hilft sicher dabei einer zu werden.

Montag, 11. April 2011

das Vergessen (43)

Vielleicht gehöre ich einer Nation an, die nicht gern vergisst, die vielleicht auch dazu gezwungen wurde und sich an dieses kleine Detail nicht mehr erinnert. Vielleicht nicht alle, aber ich erinnere. Ich veranstalte keine Grillabende an Orten, an denen Massaker an Tausenden von Menschen stattfanden, erkenne das Leid einzelner Gruppen an wie das erlittene Leid anderer ohne dazwischen abzuwägen. Noch immer zucke ich bei jedem antisemitischen Witz zusammen, genau so bei homophoben. Aber auch an diese Momente sollte ich mich erinnern, bevor ich mich einer ukrainophilen Folklore-Erinnerung hingebe.

Sonntag, 10. April 2011

die Oper (44)

In der Kiewer Oper entdeckte ich meine Leidenschaft fürs klassische Ballett, war verzaubert von Prokovjews Romeo und Julia, angetan vom Nußknacker-Weihnachtstraum bei sommerlichen Höchstwerten, fieberte mit Madame Butterfly um ihren amerikanischen Handeltreibenden, in einer Puccini Oper, lachte mit Figaro und bestaunte das ein oder andere Mal ein Ballett das ukrainische Volkstänze vorführte. Sie wird mir fehlen, genau so wie der Krimsekt der ersten Pause und die posierenden Paare auf schönstem Marmor gülden umrahmt.

Samstag, 9. April 2011

Donnerstag, 7. April 2011

Duschgeschirr (47)

unwahrscheinlich dass ich es vergesse, denn es war der Running-Gag meiner zwei Jahre:
"Und wo wohnst du so?"
- "Im Gästehaus der Universität"
- "Wow"
- "ja es ist super hier. Manchmal vielleicht ein wenig anstrengend, dass ich nur einen Wasserkocher und Kühlschrank habe - aber ansonsten super." Und das meinte ich völlig ironielos. Dass ich jedoch zwei Jahre meine Geschirr in der Dusche gespült habe, zugegeben meistens im Waschbecken, das habe ich heute photographisch festgehalten.

Mittwoch, 6. April 2011

Kiewkiosks (48)

an jeder Ecke in jeder Lebenslage zu jeder Stunde des Tages und in jeder erdenklichen Gemütslage von Verkäuferinnen zu finden.

Dienstag, 5. April 2011

Die Morgenmetro (49)

ich bin noch nicht sicher, ob ich sie wirklich vermissen werde: wenn am Morgen die halbe Stadt unterwegs ist, Kiew hat inoffiziell 4 Millionen Einwohner davon fahren mindestens eine Million jeden Tag Metro im Berufsverkehr knattert sie im 30 Sekundentakt in die Stationen und es ist schon ein sehr eigenes Gefühl, wenn einem ein Schwall von Mensch beim Aufkrachen der Türen entgegenprallt: physisch, geruchlich, es ist sogar menschenwarm und man wünscht sich ganz fern. Wie versteinert starren alle auf die Katzen-Homevideos auf den Monitoren um sich von der Außenwelt abzuschirmen. Es gibt keine Distanz mehr zu dem Bierbauch des Alten hinter einem. die Turmfrisur vor der Nase. Es passt buchstäblich kein Papier zwischen einen und die anderen. Dabei gehöre ich zu den Glücklichen, ich passe meist in die erste Metro, da ich nicht aus den Schlafstädten ins Zentrum aufbreche. Eine Freundin erzählte, dass sie meist erst in die dritte hineinkommt - wenn es gut geht, ansonsten die vierte. Heldenhaft berichtete sie, wie sie neulich mindestens drei Stationen auf einem Bein fuhr, weil sie den Fuß nirgendwo abstellen konnte. Aus diesem Grund auch ein bildlicher Abschied von der Morgenmetro

Montag, 4. April 2011

Abschiedsexperiment in Bildern

Eine Freundin fragte mich gestern via Email, ob ich denn schon Abschied feiere, denn als sie damals Bisk (Sibirien) verließ, habe sie zwei Wochen lang feiern müssen, sie war genau drei Monate dort und kann sich nur schwer vorstellen, wie das wohl bei zwei Jahren sein müsse. Sie hat Recht, ich plane bereits - bin eben eine Deutsche geblieben - wann und wo und mit wem, ob alle zusammen, ich einen Raum, eine Bar, eine Band mieten, den Strand für einen Abend im Mai in Beschlag nehmen sollte etc.

Da es auch Abschiednehmen von vielen kleinen Dingen und Momenten heißt, die ich hier lasse, über die ich lachen muss, mich manchmal ärgere oder sie als alltäglich empfinde und sie irgendwann vergessen werde, mich aber auch gebührend verabschieden will, werde ich die nächsten 49 Tage jeden Tag ein Foto machen, vielleicht auch erklären, was genau ich hier verabschiede.
Ich spinne, ich weiß. Aber das soll mein kleines erinnerungstechnisches Experiment sein.

Tag 50: Ein Ausschnitt meiner Badezimmerfliesen-Vokabeln-Post-its mithilfe des Auswärtigen Amts in die Tat umgesetzt, zu dieser Kategorie gehören auch die Kühlschrankworte und Schreibtischverben:

Samstag, 2. April 2011

Tschernobyl Tours

So heißt die eine oder andere Agentur, die Geld mit dem Schrecken macht. Bald ein Jahr habe ich nachgedacht, ob sie auch ihr Geld an mir verdient. Die Zone ist noch immer gesperrt, nur mit Sondergenehmigung zu erreichen, an der ein Rattenschwanz an Mitverdienern hängt. Morgen fahre ich.

Ich habe mit vielen gesprochen, mit den Ausländern um mich, mit Ukrainern. Jeder hatte eine Meinung zum Kommerz, zu den Bildern, zum Grauen, zur Gefährlichkeit dieses Unterfangens. Am meisten beschäftigt hat mich eben dieser Kommerz mit der Katastrophe, die davon am meisten Betroffenen sehen nichts von dem kleinen Vermögen, dass mich und viele andere dieser Trip kostet und den halben Monatslohn eines ukrainischen Hochschuldozenten darstellt.

Was sucht sie da, wird wieder der ein oder andere denken (die liebe Familie ;), reicht ein Loch im Bein mit dazugehörigem Adrenalinputsch im Jahr noch nicht? Die Strahlung dort ist so hoch wie in Kiew – ich weiß nicht, ob das eine beruhigende Antwort ist, aber gefährlicher als hier ist es nicht.
Wenn ich nicht jetzt fahre, werde ich es niemals tun. Und ich bin neugierig, will verstehen, was da passierte, was es für die Gegenwart bedeutet und den Unfall in Japan nachvollziehbarer macht.  Ich will die alte dort konservierte Sowjetunion sehen, so sehr sie nun auch journalistengerecht in Szene gesetzt sein mag und ich habe es mir gut überlegt.

Freitag, 1. April 2011

Alterswitz


Egal wo ich hinkomme, die Welt denkt, ich sei jung. Nein, die Ukraine denkt, ich sei jung. Ich bin jung. Aber im Maßstab der Ukraine sehe ich jünger aus, als ich bin. Ein Pferdeschwanz ziert sich für eine Dozentin an der Uni nicht, flache Schuhe, ungeschminkte Lippen, unberingte Finger. „ Was Sie unterrichten? Aber Sie sind doch noch so jung.“ Ich habe aufgehört diesen Satz zu zählen. Aber er kommt immer. Vielleicht ein Kompliment, dem einen Gegenkompliment über das Alter des Gegenübers folgen soll? – tja , dann habe ich interkulturell versagt. Kein Wunder, kann mir in meinem Alter schon mal passieren, letzte Woche waren es 10 graue Haare, die ich mir ausriss.

Mittwoch, 30. März 2011

Abschied auf Raten

Es ist Ende März, noch fast zwei Monate werden es sein, wenn mein Flugzeug abhebt, mich in eines neues völlig anderes Leben bringt. Zugegeben, etwas melodramatisch, ich fliege schließlich nur nach Frankfurt.  Aber dann ist es Schluss mit dem Projekt, in das ich seit Finnland hineingewachsen bin. Mein Nachfolger steht dann schon in Kiew bereit mein Seminar zu übernehmen. Eine Woche habe ich zum Ankommen, Verarbeiten, Wegschließen, Romantisieren und Auspacken. Dann geht es los, das neue und ferne kaum vorstellbare Leben in Deutschland.
Und schon jetzt beginnt es zu schmerzen, als mich meine Mädels ganz entgeistert ansehen, was schon im Mai so früh?

Verzweifelt guckt sie mich an, denn sie hat ihre Hausarbeit kommentiert zurück bekommen, dass es nicht möglich sei, diese Arbeit zu verstehen. Und ich fühle mich verantwortlich. Das werde ich noch lange tun, diese Mädels waren mein Start in Kiew, ich hab mit ihnen gelernt, jeden Schritt begleitet und bevor sie ihren Abschluss haben, gehe ich, das schmerzt. Dabei will habe ich sehnsüchtig nach  etwas anderem gesucht, war im Kopf lange nicht mehr am Ort und nun schmerzt es, schon jetzt und es sind noch zwei Monate des Abschiednehmens, was bin ich aber auch eine sentimentale Kuh.

Sonntag, 27. März 2011

die Abschiedstour beginnt

Wenn es mir gut geht, dann schreibe ich nicht, gut, dann zwinge ich mich ab jetzt immer ein bisschen. Denn die Tage sind gezählt. Am 23.Mai fliege ich. Bis dahin heißt es Abschiednehmen und mir wird schon ganz schwer zumute. Vielleicht kommt das mit dem Schreiben schon wieder von ganz allein.
Das erste Ziel: Czernowitz. 

„Wie ist Czernowitz für dich“, fragt er? Ja, wie es ist eigentlich. „Eine Stadt ungewöhnlicher Begegnungen“ sage ich und er: „ Es ist die Stadt der Intellektuellen, der Literatur, der Juden“ und ich frage mich, ob das stimmt.  Eine andere Aussage kommt mir in den Sinn, einer die dort Deutsch unterrichtet und sich weigerte weiterhin an die Uni zu kommen, wenn sie nochmals Zeugin von bezahlten Examensnoten wird. „ Es wird den Ukrainern, die dort leben nicht gerecht, wenn man die Stadt nur durch die Brille der Literatur sieht.“ Und in der Tat renne ich mit meinem Gregor von Rezzori durch die Stadt und suche seine Gartenstraße, das verwunschene Haus des Professor Feuer und später das Geburtshaus von Paul Celan, die Gedenkplakette hängt am falschen Haus und ich muss schallend lachen, als ich mir die ausländische Delegation bei der Eröffnung vorstelle – am falschen Ort. Das ist Czernowitz eigentlich für mich. Alles steckt in einer falschen Haut und ist dabei so charmant. Die Stadt wenig mit ihren Bewohnern zu tun, wie arrogant: der Blick durch die Vergangenheit. In welchen Städten, denen das zwanzigste Jahrhundert so übel mitspielte, ist das schon so? Und doch, die, die ich treffe, richten den Blick eher zurück als nach vorn. Der ältere Professor für französische Sprache, dessen Altherrencharme ich bei Kräutertee, Schokolade und Cognac erliege; die pensionierte Dozentin für Archäologie, die unbefangen mit uns auf Russisch plaudert über sich die Kunst in ihrer Stadt und Familie, natürlich die Vergangenheit und uns zum Abschied Postkarten über ihr altes Czernowitz schenkt. Dabei sind wir schon so reich beschenkt: kyrillische ex libris, meine neue Leidenschaft nach ukrainischen Pysanka. Über alle werde ich noch berichten, immer ein wenig...

Dienstag, 1. März 2011

Kioskkosmos

„Nehmen Sie doch von beiden eins, dann können Sie das eine mal probieren.“ „Ja“ sage ich, „aber es ist doch für eine Freundin“, „kein Problem schießt es aus ihr raus in ihrem Beratungsgespräch über Snickers Erdnuss oder Haselnuss, da sind zwei drin. Dann können Sie beide probieren.“ „Stimmt“, sage ich und kaufe beide. So geschehen, gestern an einem kleinen Kiosk unweit meiner Uni, man führt Beratungsgespräche mittlerweile mit mir. Meine Antworten holpern noch ordentlich, zugegeben, aber der treudoofe Hundeblick, den ich aufzulegen geübt war, wenn mal wieder gar nichts ging, der ist weg.  Kioske gibt es hier an jeder Ecke, sie sind von oben bis unten beklebt mit Etiketten der Verkaufsgegenstände und haben nur eine kleine Luke, in die man sich zum Kauf hineinbeugt. Ich habe da so meine Lieblinge. Den Kiosk am Kontraktova, mit der älteren aber kecken Dame, die mir immer erzählt, dass sie Rumänisch in der Schule gelernt hat und mich dann jedes Mal aufs neue fragt, woher ich denn komme (nicht, dass man das sowieso jedes Mal hören würde), dann feilt sie an meiner Aussprache. Jedes Mal das Spiel von vorn.

Noch im letzten Jahr, als die Idee mit dem Blog noch lange nicht geboren war, schlenderte ich, na ich taumelte vielleicht auch ein bißchen, um die Ecke, bog in die letzte Straße vor meiner ein, und er war weg. Ein riesen Loch klaffte an der Stelle, an der ich noch tags zuvor mein Wasser gekauft hatte. Zuerst schob ich es auf das Bier in mir, aber der kleine Treppenpodest war noch da. An dem Nichts hatte es einmal eine Treppe gegeben, in meinen Kiosk genauer gesagt. Ich war also nicht betrunken. Man hatte ihn abgeholt. Vielleicht saßen die kleine dicke blondgefärbte Verkäuferin in blauer Kittelschürze noch hinterm Tresen, zählte das Kleingeld und quatschte mit ihrer brünetten Freundin, als man sie weghob und wegkarrte. Komisch. Aber ich habe diese Vorstellung dabei. Dann lud man sie an einer anderen Stelle in Kiew wieder ab und die Geschäfte und das Geldzählen gingen weiter, so als hätte sich nie etwas geändert. Im Kioskkosmos hatte es ja auch keine Veränderung gegeben, nur in der Außenwelt. 

Ich mache Fortschritte. Der Winter auch. Es sind nun nur noch -8 Grad täglich, aber wenn die Sonne scheint, bringt sie Eiszapfen an Strommasten und Dachrinnen erbarmungslos zum Schmelzen, was einen erinnern macht, dass man eigentlich ja vorhatte, nicht mehr so nah an Hauswänden vorbei zu schleichen.  Die letzten Eishaufen werden von Baggern aufgebrochen, abgeschabt und weggefahren. Ich habe meinen Pelz mit meinem Dufflecoat eingetauscht,  der mir leicht wie eine Feder vorkommt und am Sonntag fliege ich für eine Woche nach Deutschland, in den Frühling so hoffe ich.

Sonntag, 27. Februar 2011

Worte zur Mitternacht

Ich kann nicht behaupten, dass die Liste an Aufgaben, auch intellektuell herausfordernden Aufgaben, die ich noch bis nächste Woche Sonntag zu erledigen hätte, kurz wäre. Nein, das ist sie nicht. Und ich habe keine dieser Aufgaben heute angerührt, nichts von alledem.
Dafür habe ich mein Traumsofa gefunden, einzig über die Farbe werde ich mit mir noch nicht einig, habe mich durch zahllose dänische Design-Möbel-Seiten geklickt und Wohnaccessoires begutachtet, mir über shabby-chic und Post-Bauhaus Stil Gedanken gemacht, Seiten zum Beziehen von Polstermöbeln gesucht und dabei diese und viele weitere anregende Dinge entdeckt.

Nun was hilft mir das? Nichts, denn nichts von alledem werde ich in die Tat umsetzen können, wenn ich den morgigen Tag ähnlich verbringe, weil ich mir dann weder dänisch noch shabby geschweige denn Bauhaus jemals leisten kann.
Aber was soll ich tun, warum trägt mich das Gefühl des Aufbruchs nicht, das mich sogar vor Tagen schon hat packen lassen, die wichtigsten und schwersten Dinge versteht sich. Dabei bleibe ich, wohl bis Juni. Aber alles ist wie abgekartert mit  mir selbst. Ich ertappe mich immer wieder bei dem Gedanken, dass ich noch dieses und jenes besorgen, essen, trinken, besichtigen muss. Dabei geht an diesem Wochenende doch erst der Februar zu Ende. Ich habe abgeschlossen, so scheint es. Das ist ungesund und doch kann ich mich gegen dieses Gefühl nicht wehren. Es ist einfach da, die ganze Zeit, als säße ich auf einer Schwimmbadrutsche und warte nur auf einen größeren Schwall Wasser der mich trägt, mich beschleunigt. Das Warten am Rand, das einen frieren macht, beendet.

Die Selbsttäuschung reicht nur nicht weit genug, um nicht zu wissen, dass ich etwas leisten muss, damit die Dinge so laufen, wie ich es will; ich mich in die Kurven legen muss, damit mich dich Rutsche so richtig beschleunigt. Wann werde ich irgendwann mit diesem Schludrian auf die Nase fallen, einen Bauchlander um im Bild zu bleiben? Ist die Zeit dafür jetzt da? Dann wird der   Aufprall auf dem Wasser sicher hart, das Schlucken von zu viel Wasser arg.

Samstag, 19. Februar 2011

„Ja. Das ist Liebe“

sagt er, und begleitet uns zum Ausgang. „Hat es Ihnen gefallen, Dewuschki?“ und wir mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen rufen: „ja, sehr, sehr, sehr“. „Ja, das ist Liebe“ schmunzelt er uns noch einmal gütig an, mit einem Blick, der Erfahrung zeigen soll und schließt die Tür zum Saal hinter uns.

Selten war ich in so einem Rausch von Musik. Die Bühne und das Ballett fast unnötig, so ergriffen war ich, so schauderte es mich, wenn die Streicher im langen Vorspiel den dritten Akt einkratzten, der Tanz der Ritter in Moll die nahende Tragödie vorbereitete und ich noch Stunden später daheim noch bessere Inszenierungen auf youtube suchte, immer die Gänsehaut an der gleichen Stelle der Musik provozierend. Ja, das ist Liebe. Wie kann ein Mensch so wundervolle Musik machen, frage ich mich unentwegt, den Rausch ein wenig verlängern wollend.

Ob es der nahe Frühling ist, die letzten fünf sonnigen Tage, die nicht nur mich beschwingt durch Kiew liefen ließen, sondern auch die Vögel zum verlieben animierten, egal ob, wie ich eingemummelt in meine Dublonka (siehe Dublonka-Liebe vom 13. Feb. 2010), oder sie aufgeplustert bei Minusgraden ausharren, es ist Zeit und so habe ich mich diese Woche schon mehrfach verliebt. Erst in den roten Bus (siehe Blogbild), dann in eine kleine getigerte Katze mit Bernsteinaugen, die am Mittwochabend Irokes getauft wurde und nun in Prokofievs „Romeo und Juliette“, ein ganz klein bisschen vielleicht auch in Mercutio, der für meinen Geschmack viel zu früh sterben musste im zweiten Akt und der eigentliche Romeo des Abends für mich war. Vielleicht waren die schwarzen Strumpfhosen einfach ansprechender als Romeos weiße, oder das Lächeln, das ich auch im dritten Rang vorn überbeugt auf die Brüstung noch erkennen konnte.

Dabei fing alles etwas zu hektisch an, um sich auf die Musik einlassen zu können. Eine frei gewordene Karte versuchte ich stundenlang an den Mann zu bringen, um am Ende zu wenig zu haben, noch eine zu besorgen und mich bei der dritten zu  entschuldigen. Alle zu spät, so spät das in der Garderobe niemand bereit war unsere Jacken anzunehmen, die Nummern waren ausgegangen. Ein langes hin und her und Debatten mit der Garderobendame, deren Ehre wir verletzten, weil ihr unsere Lösungsvorschläge für das Problem zu profan erschienen. So kamen wir verspätet in die Vorstellung, unsere Plätze waren an andere verloren und ich verbrachte den ersten Akt hinter einer Säule im dritten Rang, damit beschäftigt mich zu beruhigen und dem Geknister um mich herum, dass Telefonieren und Gequatsche der anderen Gäste zu ignorieren. Ab dem zweiten wurde alles besser, die Plätze zurück erobert und mit Blick auf dem Orchestergraben schien auch die Musik eindringlicher, lauter zu werden und ihre Wirkung auf mich zu entfalten. Begeisterungsstürme am Ende, Blumenkörbe, (die so schwer und groß waren, dass es zwei Träger bedurfte) von Ministern, die in der Ehrenloge Platz genommen hatten und einer Julia mit einem Liebreiz, die so ergaben meine Youtube Recherchen auch auf Jahrzehnte keine Konkurrenz fürchten muss. Ja, es ist Liebe.

Montag, 14. Februar 2011

Kiew mein Wintermärchen

Ein abwägender Blick auf mich und die freie Stelle neben mir, genügt und sie schwingt sich auf das kleine Podest neben dem Fahrer, wo auch ich in der vollen Maschrutka Platz genommen habe. Ganz eng und kuschlig tuckern wir durch die Stadt, genauer am Dnjepr entlang, denn ich will auf die andere Seite der Stadt, dort wo die meisten Kiewer und Straßenhunde wohnen, wo die Metro langsamer als irgendwo über das ausgefahrene Gleisbett knattert und wo ich mit einem „Willkommen auf der anderen Flussseite“  begrüßt werde, als ich in der eisigen Sonne auf Johanna, Grund meines Ausflugs warte. Wie ein kleines Abenteuer kommt es mir vor, dabei habe ich nur mein Quartier verlassen, aber hier fühlt es sich zum ersten Mal seit Tagen an, als wäre ich wirklich in Kiew angekommen auf dem Weg in die Schlafstadt, die keine ist, sondern früher Bonzenviertel war wegen der Nähe zum Fluss und seinem Panorama auf Lavra und Dnjeprstrände, das im Eis ganz verwunschen wirkt im 14. Stock von Johannas Wohnblock.

Noch vor wenigen Tagen verklärte ich die ersten deutschen Frühlingszeichen. Auf der Fahrt durch die Ukraine fragte ich mich mehr als einmal, was ich hier eigentlich mache, suche und vor allem warum ich mir das antue. Nichts mehr von diesem Gefühl als wir die zweite Brücke über den blaßblauen Fluss nehmen, der an vielen Stellen durchweg gefroren ist, die Schollen, die vor wenigen Tagen noch einsam vor sich hintrieben, lassen sich erahnen. Die Eisfischer haben ihn bereits in Beschlag genommen, die grüne Färbung des Eises verrät die Dicke aber vor allem die Dünne des Unterfangens, ohne Risiko keine Fischerfreude. Bei diesen Minusgraden leuchtet die Stadt, die Luft knistert, der Asphalt ist weiß gepudert und die Menschen rosabewangt pusten kleine Wolken in die Luft, wie die Kraftwerke, die man am Horizont überall erkennt.
Ich genieße diese Kälte, weil ich so gut vorbereitet bin in diesem Jahr, weil meine Heizung funktioniert und sie den Kopf freipustet vom Gegrübel, was kommt und kommen soll.
Meine erste Maschrutka-Fahrt in diesem Jahr und ich kann mich nicht erinnern, wann ich meine letzte so bewusst erlebt habe, die kleinen Gucklöcher, die die Reisenden ins Eis am Fenster gekratzt haben, um die richtige Haltestelle zu erwischen. Die Verschiedenheit der Damenpelzmützen und Mäntel, an denen sich der Wohlstand einer Familie ablesen lässt, wie sonst nirgends. Ich wusste, dass es sich wieder einstellen würde, das Gefühl für das hier und das Abenteuer, das es eigentlich ist, hier zu sein, dass aber der Winter dabei helfen würde, habe ich nicht gedacht.

Sonntag, 13. Februar 2011

Dublonka-Liebe

Als ich mich heute an einer Hausecke festhielt, um nicht von der nächsten Schneeböe mitgerissen zu werden, tief in meinen Mantel eingegraben, der mich zu einer anderen macht, zu einer von hier, wusste ich, er war die beste Anschaffung des letzten Jahres. Dabei war nicht immer klar, ob es zu einer Freundschaft kommen würde zwischen uns. Aus Verlegenheit angeschafft, mit ein bisschen Scham ihn auch in anderem kulturellen Kontext tragen zu wollen, viel zu groß und unförmig, wollte ich ihn noch in der letzten Woche alsbald verhökern – spätestens im Frühling.

Ich erinnere mich noch genau an das abwehrende Gefühl beim Einsteigen in den elterlichen Wagen auf der Fahrt zum Bahnhof: ich lasse mein ziviles Leben hier, dachte ich. Als streife ich eine andere Haut über. Viel zu warm für deutsche Winter, vor allem in Jena, wo ich bzw. mein „Russenmantel“ Ziel von Spott und Fotos waren, nicht ich wurde mehr auf der Straße und in Cafés erkannt, nein zuerst der Mantel. In Berlin wurde es besser, noch schrägere Vögel weit und breit; Pelz ist zudem wieder angesagt  - unter den Hippen, da fiel ich mit dem übergroßen Kurzhaar kaum auf.
Vielleicht kamen wir uns auch einfach näher, gewöhnten uns an einander wie in einer Vernunftehe. Je östlicher ich kam, desto natürlicher das Gefühl. Jetzt greif ich automatisch zu meinem glänzenden Freund, vielleicht überlege ich mir das mit dem Verkauf noch mal, zumindest bis die Temperaturen die magische Grenze von 0 wieder erreichen, heute war das jedoch mindestens 12 Grad davon entfernt. Wir werden wohl noch einige schöne und innige Stunden verbringen mein Dublonka und ich, denn von Frühling ist hier weit und breit noch nichts zu sehen.

Freitag, 11. Februar 2011

mein roter Bus...

eine neue Zeit hat er eingeläutet auf diesen Seiten, der blaue Kiewhimmel musste weichen. Ganz verliebt schaue ich ihn an, dabei kamen wir uns kaum näher, so schnell zogen wir an einander vorbei. Eine Momentaufnahme nur, aufgeschnappt, wie so vieles auf der elend langen Fahrt von einer ostdeutschen Tristesse in die nächste. Dass Dinge an mir vorbeirauschten, kann ich nicht sagen, schon gar nicht an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine oder im Schneesturm vor Kiew, aber die Eindrücke nach zwei Monaten Abstinenz waren zu eindringlich, die Stimmung im Einheitsgrau zu erdrückend. Bald hat sie mich wieder, das weiß ich auch, bis dahin beobachte ich das sanfte Schneetreiben vor meinem Fenster an die Heizung gekuschelt und werfe liebevolle Blicke auf meinen roten Bus. So kann doch ein neues Jahr in der Ukraine beginnen, würde ich sagen. Wir kommen einander schon wieder näher, der Abschied wird sicher bitter.

Sonntag, 6. Februar 2011

Sonntagslamento

Ich sitze auf einer fremden Couch in einer fremden Wohnung, vor deren Fenster Berlin seinen Sonntagsregen zelebriert und lese Zeitung. Alle. Die Wohnung ist voll davon, unberührte Seiten seit Beginn des Jahres und begreife, wie sehr mir das fehlt, wie weit ich weg war in den letzten Jahren. Wie sehr mir dieses deutsche Lamentieren und Moralisieren, die politischen Grabenkämpfe gefehlt haben, die kleinen Raffinessen meiner Sprache, die ich in keiner anderen so aufspüre. Da lächelt Sarah Wagenknecht in der ZEIT ihr „entrücktes Rosa-Luxemburg-Wiedergängerinnen-Lächeln und schlägt in der kalten Winterluft den Kragen ihres grauen Revolutionsmantels hoch“ und die FAZ geißelt die Doppelmoral unserer politischen Diskurse, von Fackeln die nicht zu Funzeln verkommen dürfen im Kampf um die Moral und Ägypten. Ich liebe es. Ich will wieder hier leben, in meinem biederen, sauberen, wohlstandsverwöhnten Land, will mich aufregen über die nicht eingeführte Frauenquote in Unternehmensvorständen, die Wolfsmentalität der Kirchen als Arbeitgeber im Schafspelz und und und... Und doch fahre ich morgen zurück und bin gespannt, wie lange es dauern wird, bis ich dieses Gefühl, diesen Wunsch wieder vergessen haben werde. Ich werde mit ziemlicher Sicherheit davon berichten, wenn ich in der anderen Welt ankomme.

Freitag, 7. Januar 2011

meine Sambaschläppchen und ich

Ganz friedlich trocknen sie so vor sich hin, am Fenster unserer Unterkunft, nachdem ich noch einmal versucht habe, den tief roten Dschungelschlamm in dem ich noch vor wenigen Tagen knöcheltief steckte, herauszuwaschen. Sie verantwortlich zu machen für meinen Sturz wäre vielleicht ungerecht, aber irgendwer muss ja schuld sein, dass ich nicht über Wurzeln fiel und Abhänge hinab sondern eine Asphaltstraße hinunter mit dem Knie nach vorn. Alles ein einziges Rinnsal, der unaufhörliche Regen, die Kälte. Es macht mich traurig, resigniert und kopfschüttelnd, wie konnte das nur passieren. Ein merkwürdiges Glück ist, dass ich so viel Anteilnahme von allen Seiten und damit Einblicke in dieses Land erhalte, wie sonst kaum möglich. Die chinesischen Gastleute in Georgetown auf Penang im Nordwesten des Landes haben mir gleich ihren Stockschirm als Krücke abgetreten, der indische Koch von nebenan hat mir richtige Schmerzmittel überreicht, weil er meint, meine seien viel zu schwach bei der Größe des Verbands zu schließen. Und als ich mit einem indischen Taxifahrer ins Krankenhaus fuhr, weil irgendwas nicht stimmte, blieb er bei mir, begleitete mich überall hin: Zum Röntgen und zur Behandlung, wartete und redete optimistisch auf mich ein. Auch wenn die Schwestern ernst mein Knie beäugten. Alles wird gut, sagte er beständig. Und er hatte Recht. Die Blut- und Röntgenergebnisse waren gut, kein Dreck in der tiefen Wunde, die eine bleibende Erinnerung auf mich zeichnet. Ein sehr anderer Urlaub.