Dienstag, 12. April 2011

„Willkommen im Gruselwunderland: Chernobyl- Tours hat sich was ganz besonderes für Sie überlegt“

Eine Woche habe ich gebraucht, eine Provinzreise in die Westukraine dazwischen geschoben, ein normales Arbeits-, Alltagleben gelebt, gelacht, geflirtet, getrunken, bis ich es aufschreiben konnte. Zu groß der Zweifel an der Reise, der Ekel an den Menschen, an der Inszenierung von etwas, dass ich immer noch schlecht in Worte fassen kann, weil ich es nicht verstehen kann, weil es sich schlecht verstehen lässt, weil die Bilder nicht echt waren und doch sind sie es. Eine Stadt, eine Schule, eine Turnhalle, ein Schwimmbad, ein Leben das vor 25 Jahren abrupt aufhörte. Und dann ist da dieser Grusel.


Vor 25 Jahren genau ereignete sich eine zwei Stunden Fahrt von Kiew entfernt eine atomare Katastrophe, die einen riesigen Landstrich unbewohnbar macht für Jahrhunderte und die Welt den Atem stocken ließ. So oder so ähnlich lesen sich Reportagen, Artikel und Fotobebilderungen dieser Tage, denn am 26. April jährt sich die Katastrophe, alle Touren in die Zone sind bis Mai nur noch Journalisten vorbehalten. Wir haben eine der letzten Touren erwischt.

 „It is fabulous“ sagt er und misst die Helligkeit aus, als wir in einen Raum kommen, an dem die Parteifunktionäre auf Leinwand gebannt in Reih und Glied stehen, davor Schutt, so malerisch – so malerisch eine Katastrophe sein kann. Und aus mir bricht heraus „ It is made for you and your story“. – Pause. Unverständnis. – Alle rennen weiter zum nächsten Bild, auf der Suche des einzigen, einzigartigen Bildes, der Grusel, der nach Fukushima Konjunktur hat immer im Nacken. Es gibt diesen Moment, dieses Bild nicht , schon Generationen von Journalisten, Fotographen waren hier, sie vereint der Blick wie man den Grusel in die Welt hinaustragen kann hinaus aus der Zone, die nach zwei Sonderkontrollen erreichbar ist.  Die geführten Routen sind gleich, Panzer- und Räumgeräte-Wiese, verlassener Kindergarten im Wald versteckt, Kühlungsbecken, der so frühlingshaft friedlich vor uns lag, der Sarkophag und schließlich die verlassene Stadt. Prypjat – Highlight der Lehrstunde: Katastrophe in mehreren Teilen. [...]Kinderbettchen, davor ein paar Hausschühchen, auf dem Boden zerstreute kyrillische Buchstaben, ein Springseil, eine Tafel – der perfekte Winkel für ein Bild. Kälte. Kälte eines Ortes an dem es vor 25 Jahren zuletzt Leben gab.

[...] Wegschmeißen will sie alles und ich gehe beunruhigt mit einem Geigerzähler meine Lieblingsschuhe entlang. Der Piepton bleibt stabil bei einem Wert, der nicht beunruhigend ist, nicht wie bei einem kurzen Halt an einem harmlos scheinenden Birkenwald, der friedlich einem neuen Frühling an einem der ersten warmen Wochenenden entgegenwächst, das Piepen hat sich zu einem schrillen nervösen Dauerton entwickelt, die Türen des Kleinbusses sind noch geschlossen und es ist ganz still in diesem Moment.

Ganz still ist es auch in einer früheren 50 000 Menschen-Stadt, kalt ist es in Gebäuden, die fluchtartig aber friedlich verlassen wurden. Die Unordnung stammt von den Aufräumarbeiten, die zerborstenen Fenster und überall Natur, die sich hineinwächst in diese Stadt. Überall sprießen Birken. Überall Rost. An manchen Stellen tropft noch der Winter durch die Decken. Eine sowjetische Bilderbuchstadt war dieses Prybjat einst, gebaut im Dienste der Atomkraft. Man muss kein Atomkraftgegner sein, um hierher zu kommen, aber es hilft sicher dabei einer zu werden.

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