Sonntag, 26. September 2010

faul(ig)e Sonntage

Diese Stadt ist heiß oder kalt, ich liebe alles oder ich ertrage nichts. Himmelhochjauzend durchwandere ich die Institutska, die schon in Meister und Magarita eine Nebenrolle spielt. Das krisselige Laub der Kastanien, schon vor seiner Zeit braun raschelt zu meinen Füßen und sonnengelb im Septemberlicht. Ab und zu kracht es neben mir. Die besonders schönen tausche ich mit denen aus, die schon seit Tagen meine Jackentaschen verstopfen und weiter geht das Spiel. Kindlich freue ich mich auf das Frühjahr, wenn ich die Winterjacken mit dieser wechsle und einen kleinen schrumpligen Gruß aus dem Vorjahr finde.


Ein fauler Sonntag, den ich mit der ukrainischen Version eines Flohmarktes begonnen habe, dutzende aneinander gereihte Container, in denen echte europäische Ware angepriesen wird, auf Wühltischen, matt, mit trockner Kehle und angewidert wende ich mich bald ab. So schließt sich der Kreis, hier landet das Zeug, das wir aussortieren, schafft wieder Konsum und Arbeitsplätze und wird irgendwann auf die Tische noch ärmerer Länder wandern. Gern würde ich Konsum geißelnde Gespräche führen, aber die Ukrainerin mit der ich unterwegs bin, schaut mich verständnislos an. „Wir haben halt Pech gehabt an diesem Wochenende, die guten Sachen waren schon weg“ und zieht mich zu einem Stand abgelaufener französischer Kosmetik. Zu mir wandert an diesem Sonntag jedenfalls nichts und ich entscheide mich wieder auf meine, die richtige Flussseite zu fahren, wie es die Westler nennen und dabei fühlt es sich so echt an hier, so ist Kiew abseits der Gegenden, in denen ich mich bewege, das eigentliche Kiew. Wo die Armut als Geschäft getarnt ist, wie Herta Müller schreiben würde, wo die Metro ungewohnt gemütlich vorwärts ruckelt, weil die Schienen nicht mehr hergeben, wo eine orthodoxe Nonne singend durch die Waggons zieht, mit einem Papierjesus. Gemeinsam wälzen sie sich durch die Massen dieses Sonntags, die alle auf die richtige Seite der Stadt hinüberwollen.

Ich staune wieder, denn irgendwie ändert sich mein Blick. Ich sehe nicht mehr die alten Metrowaggons, die jedem Gast aus Deutschland einen Kommentar wert sind, ich stolpere schon lange nicht mehr durch die Schlaglöcher dieser Stadt oder ärgere mich über drängelnde schubsende Metrofahrer, die einen besseren Platz ergattern wollen, habe mich an Babuschkis satt gesehen und fotografiert.
In der Sonne suhlt sich ein kleiner Streuner, dass er ganz traurig guckt, dichte ich seinem Blick erst später zu. Denn nicht unweit liegt ein ebenso kleiner wolliger schwarzer Körper, nur dass die Wespen verdächtig zahlreich um ihn summen. Blutverschmiert und leblos liegt er mitten im Zentrum Kiews und ich schaue verstört nach anderen Passanten, die das gleiche fühlen wie ich. Aber sie ziehen unbeteiligt weiter. Der Winter bleibt ihm erspart, tröste ich mich erfolglos.

Die gleiche Straße, das gleiche Licht und doch ertrage ich diese Stadt nicht mehr, deren goldene Sonntagskuppeln aus der Ferne glänzen. Die Stimmung schwappt. Ich kann sie nicht mehr sehen, diese alten müden Gesichter des Ostens, den Schmutz, den Müll zu meiner rechten der von den Massen der immer wiederkehrenden Großveranstaltungen am Wochenende zurückbleibt. Ihr Geruch frisst sich in meine Nase, sie haben sich nicht weit entfernt ins Gebüsch geschlagen, außer Unkraut wächst hier nichts. Die halb zerfallenen Stufen machen mich wütend, wie die schwarzen Jeeps, die zu meiner linken an mir vorbeirauschen. Keinen kümmert dieser Kontrast, dieser Widerspruch, gebückt bewegen sich die meisten vorwärts, schleppen sich, wenig schreckt sie aus ihrer Lethargie. Das Leben als irdische Prüfung. Ich erkenne, dass ich mich hier noch so gut auskennen kann, verstehen kann ich die Regeln dieser Stadt, dieses Landes nicht, bleibe fremd. Der Maydan leuchtet mittlerweile in der Abendsonne unter mir, aber ich kann ihn nur riechen, den Staub, den Dreck, diesen Geruch, den es nur hier gibt. Er heißt Osteuropa und der mich betäubt, wie die Leute die stoisch an mir vorüberziehen. Ich beginne ihn auch an mir zu riechen, so oft ich mir auch die Hände wasche. 

Kein fauler ein fauliger Sonntag unter der Oberfläche der Herbstsonne.

1 Kommentar:

  1. Das klingt ja ganz traurig, wenn nicht widerlich! Ich hoffe, Du hast es nicht wirklich so satt, wie es klingt. Und falls ja, dann Kompliment für die nachfühlbare Beschreibung! Was ist bloß los mit dem schönen Kiew..?

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