Samstag, 16. Oktober 2010

in Gogols Reich

Mensch braucht Inspiration um zu merken, was fehlt, was antreibt, was glücklich macht. Ganz deutlich habe ich gespürt, was mir fehlt, als ich wieder ankam, eigentlich völlig dahingerafft von der sauerstofflosen Elektritschkafahrt ins Kiewer Hinterland, wo die Wärme des Heizkörpers zu meiner Linken, die Wangen erst rot leuchten und dann die Augen glühend zufallen ließ; aber wieder hier angekommen, vergaß ich die Erschöpfung der letzen Wochen, die kurz in frischer Oktoberluft zum Vorschein kam und das Rad drehte sich wieder in dem ich strample und strample und strample. Hellwach auch ohne Kaffee noch mit glühenden Wangen gab es neue ungeahnte Hindernisse, an die ich nicht im geringsten gedacht hätte und ein allgemeines Sättigungsgefühl stellt sich ein. Satt, so satt bin ich.

Aber eine kurze Reise raus aus dieser Sattheit fühlt sich an wie Wochen. Nizhyn, (ukr. Нiжин und rus. Нежин) geistige Heimat Gogols, Stadt der dunklen Straßen zu Nacht und der weiß getünchten ehemaligen griechischen Kirchen, der puscheligen Katzen, die abends nachdem der Lehrbetrieb an der Gogol-Universität eingestellt ist, die gepolsterten Stühle der Dozenten einnehmen; Stadt der freundlichen Begegnungen mit Ukrainern, die ohne mit der Wimper über das Ausländerkauderwelsch ein Beratungsgespräch über Rot- und Weißwein beginnen als verstünden sie jedes Wort.

Kleinstadt mit gemütlicher Fahrradkultur und einem zum Stehen gekommenen Fluss, eingesperrt in Betonplatten an denen sich die Entengrütze tummelt; für mich wohl immer mit dem tiefsten Blau am Himmel verbunden, das ich in der Ukraine je sah und mit dem bayrischsten Ukrainern überhaupt.

Denn man hatte zu Ehren der Deutschen ein Konzert organisiert, mit J.R. Becher und Schlagern, modernem wie alten und so voller Liebe und Inbrunst gesungen, vorgetragen, getanzt und gespielt, dass es uns rührte. Verewigt im Sprachlabor der Germanistik-Fakultät mit "PFütze, PFennig und PFerd" und mit dem Versprechen nächstes Mal mit einem Lied wiederzukommen, wurden wir verabschiedet von Hunderten von Händen in Schwarz-Rot-Gold, die sich mit uns fotografieren lassen wollten. Soviel Begeisterung für das Land aus dem ich komme, für die Sprache, in der ich hier schreibe, habe ich noch nie gespürt. Ausländer sieht man hier nicht oft, in der Stadt, in der noch immer 85 000 Menschen leben von früheren 100 000;  die meisten davon suchen heutzutage Arbeit in Kiew, denn die einzige Fabrik die noch funktioniert, füllt saure Gurken ab, die anderen sind stillgelegt. Und so scheint nicht nur das kupferrote Wasser aus dem Wasserhahn hier ruhigen, sehr ruhigen Zeiten entgegen zu rinnen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen