Sonntag, 7. November 2010

Nebel über der Stadt

Sonne satt seit Wochen schon nur abends kriecht er heran und während ich aus meinem Granatapfel die saure Frucht pule, frage ich mich, wie weit die Nachbarn zu mir herübersehen können. Das Rollo oben, 3 Gläser Wein später und ich will nicht. Ich will es nicht herunterziehen, ich will keine Hypothesen mehr entwickeln, nachts wie tags über mein Forschungsdesign sinnieren, genauso wenig wie über das Innovative meiner Arbeit. Ich will nicht mehr. Ich bin nicht leidensfähig. Nein ich bin vergnügungssüchtig und wenn ich dieser Sucht gerade mit mir allein nachgehe, dann wenigstens eine Geschichte dazu:

Vielleicht bilde ich es mir ein, aber über dem Kreshatik hängt eine eigene Stimmung als ich aus der Metro trete, ich sehe: zunächst niemanden. So hatte ich es erwartet. Mir ist merkwürdig feierlich zumute, wie einem Kind an Heiligabend. Was da für Affekte in mir sich ihren Weg nach oben bahnen, frage ich mich noch Tage später. Aber ich bin aufgeregt. Heute ist Tag der Revolution, so habe ich es genannt. Und während später einige Versprengte brüllen werden: "Hier gibt es nur eine Revolution und die ist Orange". Ist die meine heute Rot. Tag der Oktoberrevolution. Der Khreshatik ist in Rot getaucht, so rot, wie ich es nie erwartet hatte und ich begleite diese Schlange aus Fahnen und Wimpeln in betagtem Alter bis zum Maydan, schnell sind sie, diese betagten Kommunisten und sie singen und rufen Hurra, tragen ihre Orden aufrecht und Banner, einige gedenken längst vergessener Generäle und Lenins Komsomolzen Gruppe der Ukraine formiert sich militärisch, bevor sie startet. Eine merkwürdige Luft hängt über diesem Zug. Riecht so in die Jahre gekommene Arbeiterschaft... oder Mottenkugeln, denn die Trenchcoats und Barets sind alt, sehr alt, wie man an ausgebeulten Ellbogen unschwer erkennt, aber sie verraten Würde. Würde die Sache auch in die neue Zeit getragen zu haben, den Glauben daran nicht abgestreift zu haben wie so viele andere. Was werden sie gemacht haben in ihren werktätigen Tagen, frage ich mich bei einigen, die an mir vorbeiziehen. Ist das Nostalgie oder Überzeugung? Armut riecht, sie hängt diesem Zug nach.

Eine Schande ist das, echauffiert sich eine Überzeugte in kaltgewelltem roten Haar: eine Schande hier zu trommeln, wo das Orchester der Kommunistischen Partei unweit ihre Märsche spielt. In rote Leibchen der Partei gehüllt, spielen sie tatsächlich, auch schon in die Jahre gekommen, auch mit abgewetzten Trenchcoats und Baretts. Viele bleiben stehen, sie lächeln. Als die Reden in alter Manier in die Mikrofone gebellt werden, gehe ich, hinaus in meine Zeit.

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