Montag, 24. Mai 2010

Ein Gespenst geht um namens Melancholie

Mit den Besuchen aus Deutschland, die mir das merkwürdige Gefühl vermitteln, ich würde hier meine Stadt präsentieren und vielleicht ist sie das auch nach neun Monaten ein ganz klein wenig, kam sie klamm heimlich mitangereist.
Wenn ich an der alten Babuschka vorbeiziehe, die tageintagaus mit ihrer vielköpfigen muffelnden Hundebande am Fuße des Andreasstieg hockt und um Almosen bittet, komme ich mir vor, als begegne ich einer alten Bekannten. Vorbei an den Ständen mit Ukraine-Nippes, Weltkriegsaccesoires und häkelnden alten Damen, die bei Wind und Wetter ihre Ware feilbieten; immer den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht in einem der großen Schlaglöcher zu versinken, vorbei an meinem gelben Lieblingsladakombi, dann kann ich mir kaum vorstellen, hier irgendwann nicht mehr vorbeizulaufen. Noch vertage ich den Kauf von Erinnerungsstücken und Mitbringseln immer wieder nach hinten, denn die liebe Zeit ist ja noch so lang! Aber ist sie es?

Um mich herum ist Aufbruch, ob es auch einer für mich wird, habe ich noch immer nicht entschieden. Irgendwann denke ich, werde ich es wissen, einfach so und es wird das richtige Gefühl und die dazugehörige Entscheidung sein. Hierfür sind es noch genau vier Wochen und das Verschieben von Gastgeschenken, des Besuchs im Bulgakov Museum, im Museum für zeitgenössische russische Kunst und des riesigen Buchmarktes in Petrivka zeigen wohl eine Tendenz an. Wenn ich auf dem Markt in strahlend goldene Zähne blicke, die mir noch mehr Äpfel, Sonnenblumenkerne oder Petersilie verkaufen wollen; wenn ich von der Kioskbesitzerin lachend auf meine schlechte Betonung hingewiesen werde, oder mal wieder zu schnell durch die Metrotore schlüpfen will und die Schranken krachend vor mir einrasten; wenn ich in erstaunte Gesichter neben mir blicke, weil ich die Rolltreppe laufend genauso schnell nach oben strebe wie meine rollenden Nachbarn; wenn ich die alte aber adrette Opernsängerin an der Maydan-Unterführung ihre ernsthaften Lieder trällern höre mit einem Plastikbecher vor sich aufgebaut; dann habe ich das Gefühl, noch mehr Zeit zu brauchen, um das hier alles besser zu verstehen, dieses Land, die Leute und ihre Regeln. Mehr Zeit um mich zu wehren gegen die Kommandantka meines Gästehauses, wenn sie mich wieder einmal mit Missachtung straft, gegen die Wachen, die noch nie im Leben eine andere Sprache erlernt haben und nicht ahnen können, wie schwer es fällt, über die fünf auswendig gelernten Sätze hinaus ein Gespräch aufrechtzuerhalten, wenn doch das Gefühl für diese Sprache sich so langsam einstellt. Mehr Zeit um mich mehr um mich und die neuen Freunde zu kümmern.

Mindestens fünf Jahre muss man für diese Stadt arbeiten, wurde mir kürzlich berichtet, bevor sich die Anstrengungen auszahlen und die Stadt für einen arbeitet. Ich denke nicht, dass ich soviel Zeit brauche und ob diese Regel auch für mich als Ausländerin gilt, die trotzallem in ihrer Luftblase von Ausländerbekanntschaften und Zentrumsquartier und deutschen Presseschau lebt, nun ja wir werden sehen.

2 Kommentare:

  1. Jana, ich wünschte ich könnte dir etwas auf russisch schreiben, aber ich kann es nicht... sonst würde ich schreiben, dass mir dein Eintauchen in die ukrainische Welt gefällt und mich gern auf diese Reise mitnehmen lasse...

    AntwortenLöschen
  2. schön! lg aus Ost-...Berlin

    AntwortenLöschen