Samstag, 8. Mai 2010

Zwei Rubel für ein Bier (Krim II)

„Haben Sie zwei Rubel“ fragt die Kioskbesitzerin, als Sie mir das Wechselgeld fürs Bier herausgibt, mein entgeisterter Blick entgeht ihr. Schob ich es das letzte Mal noch auf mein schlechtes Russisch, bin ich dieses Mal ganz sicher: Sie fragt nach Rubeln und nicht nach Hriwna der ukrainischen Währung, die auch in Sevastopol gängiges Zahlungsmittel ist. Diese kleine Begegnung ist nur Ausdruck eines Gefühls, das einen die ganze Zeit auf der Krim beschleicht, schon beim Besteigen des Zuges nach Sevastopol beginnt und sich bei jeder neuen Runde der Sevastopol Hymne verstärkt, die Krim mag vieles sein, dass sie auch ukrainisch ist, lässt sich 20 Stunden Zugfahrt fern von Kiew nur noch schwer vorstellen.

Während in Kiew die Oppositionsparteien glauben machen wollen, eine neue Protestbewegung ins Leben rufen zu können, die sie und das Land eint, um eigentlich neue Gräben aufzumachen, bereitet sich Sevastopol auf die kommende Urlaubssaison und die Parade zum 9. Mai, dem 65. Jahrestag des Sieges des Großen Vaterländischen Krieges vor. Denn die Hafenstadt mit stalinistischer Prachtstraße in weiß ist eine Heldenstadt, mit Stalingrad und Moskau wird sie genannt. Überall hängen Plakate an diesem ersten Maiwochenende, an dem es uns auf die Krim zieht. Die Siegesschleife orange-schwarz gestreift schmückt schon seit Wochen Damentaschen, Rückspiegel und Autotüren. Aber dass Tausende vor Kiews Parlament demonstrieren, dass es zu Ausschreitungen kommt, im Parlament Eier und Rauchbomben fliegen wegen der Flotte und der Stadt, davon merkt man hier nichts, wo es nur einmal Ärger gibt, als ich zu leger die Füße auf einer frisch gestrichenen Museumsbank ablege.[…]

Es ist eine stolze Stadt, mehrfach begegnen wir Sevastopolern, die uns musikalisch unterstützt durch die Hintergrundmelodie ihres Handys den Sevastopol-Walzer schmettern, singen träfe es nicht, nein sie schmettern ihn in einer Leidenschaft, die mich peinlich darin erinnern lässt, wie im letzten Jahr ein ukrainischer Alumni die Hymne „in Jene lebt sichs bene“ anstimmte und keiner der 20 Anwesenden einstimmen konnte, alles Jenaer und Jenenser ihres Zeichens. Sogar die Promenaden-Band wird für uns engagiert um den gerade erst gewonnenen deutschen Freunden die Hymne vorzutragen.[…]

Überall sieht man Matrosen, zum abendlichen Promenieren gestatten sie sich ein Eis, bevor sie in Reih und Glied in die Kaserne abmarschieren und sehnsüchtig den Mädchen am Kai nachsehen. Aber militärisch durchorganisiert ist an diesem Wochenende nur die Schlössertour an der Südküste Krims mit Fotostopp und geführtem Toilettenbesuch. Die Schönheit des englischen und französischen Stils bleibt mir Barbarin verborgen, dass ich den Stuck und Sonnenhof im Schloss nicht zu wertschätzen weiß, an der die Neuaufteilung der Welt nach dem 2. Weltkrieg stattfand, nimmt unsere Führerin gekränkt hin. Wir sind sicher nicht die ersten unkultivierten Ausländer, die lieber historische Fakten als Legenden der Zarenfamilie hörten und das possieren am Treppengeländer oder neben Stalins Unterschrift dankend ablehnen. […]
„Wo arbeiten Sie“, werde ich gefragt, „an der Kiew Mohyla Akademie?- Alles Propaganda dort“, dass die eigene Argumentation über die Abstammung der Slawen nicht ganz astrein ist, stört nicht, es geht auch nicht darum in ein Gespräch zu kommen, Argumente auszutauschen und sich für anderen Ansichten zu interessieren, eher wird die eigene Meinung lautstark vertreten. Sie soll provozieren, tut sie aber nicht, denn ich stehe diesem innernationalen Konflikt emotionslos gegenüber und so verlaufen die Provokationen zur Abspaltung der Krim ins Leere, zur These der mordenden Ukrainer an der polnischen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg oder Unkultiviertheit der ukrainischen Sprache, ganz zu schweigen vom ukrainischen Ursprungsland, das ein Minimum des heutigen Territoriums sei.

Der Versuch diesen Gesprächen zu entkommen, ist schwierig. Alle wollen den deutschen Gästen ihre Sicht der Dinge auf Kiew und die Weltpolitik, mindestens die russisch-ukrainischen Beziehungen an diesem sonnigen Montag, an der Bucht im traumhaften Balaklawa preisgeben, der mit Schaschlik und Sonnenbad so geschichtslos friedlich sein könnte.[…]

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