Montag, 16. August 2010

Tinis Kwastage

Beharrlich antwortet der kleine ewig lächelnde Kellner auf ukrainisch auf meine russische Bestellung, überrascht schauen wir ihn an, als er Tinis Bitte auf deutsch um ein Wasser zu bekommen, sofort mit der Frage nach der Größe kommentiert - auf ukrainisch versteht sich. So gelangt Tini zu ihrem ersten Kwas, der seitdem unser täglicher Begleiter geworden ist auf unserer Reise von Lviv nach Odessa. Das Brotgetränk, das zwar schauderhaft klingt, aber  nicht nur köstlich ist, sondern ich würde meine Vermögen (sehr übersichtlich nach zweimonatiger Einkommenslosigkeit) in Aktien anlegen, würde irgendjemand auf die Idee kommen, es auf dem deutschen Getränkemarkt zu platzieren. Besser als Bionade, gesünder als Afri-Kola und hipper als Club Mate alle mal! Vorausgesetzt, dass Unternehmen würde gleich an der Börse handeln. Na bei so vielen wenn und abers bleibt es wohl dabei: Ich behalte mein Geld bzw. investiere in real-exisiterenden Kwas in der Ukraine.


[...] Diese Reise beginnt mit Zufällen. Naja, dass die halbe Republik versucht ans Schwarze Meer zu gelangen im August, war eine zu berechnende Variable gewesen und somit ist es nicht überraschend, dass wir keine Tickets für die Weiterreise noch am gleichen Abend bekommen. Doch der Zufall will, dass wir in der Lemberger Morgensonne auf das falsche Haus zusteuern, in dem wir ein Hostel wähnen und von einer alten Dame abgefangen werden, die umringt von Plastikstörchen am dritten Stock an ihrem Fenster steht und uns etwas auf Polnisch zuruft. Dass es polnisch ist, erzählt sie uns später als sie uns an der Haustür abholt auf russisch, die meisten Touristen in dieser Stadt kommen aus Polen. Sie heißt Sofia hat die 70 sicher lange überschritten, in einem Pagenschnitt flattern ihr die Chilli-rotgefärbten Haare um den Kopf. Sie lächelt und begrüßt uns im blauen Bademantel, auch wenn es sicher nicht soviel zu lächeln gibt. Nach dem wir einen Blick auf die schlafenden Gäste in beiden Zimmern werfen durften, werden wir uns einig, wir werden ihre Nachfolger. Darauf raucht sie erst einmal eine Begrüßungskippe mit Tini. Es ist morgens 7 Uhr und sie rauchen, das Eis ist gebrochen. Da beide nicht miteinander sprechen können, rauchen sie ab jetzt einfach immer in Eintracht. Ich bin immer zuständig für alle Verhandlungen und dann ruft sie mich mit dieser östlichen Mundart meinen Namen auszusprechen. So als hole sie erste Silbe ganz tief aus der Kehle, als singt sie ihn (leider unmöglich sprachlich nachzumachen, bei Nachfrage, wiederhole ich es einfach. Für alle Jenaer Nachfragen ist Tini zuständig.)

Jede Nacht holt sie sich Fremde ins Haus, alle Zimmer mit Fenster hat sie vermietet und sich selbst hinter einem Vorhang einen Bereich eingerichtet, in dem sie lebt. in diesem Bereich in dem es zu jeder Tageszeit duster ist, hängt an einer Gardine etwas, dass ich nur mit Anstrengung deuten kann. Ich ziehe etwas am Vorhang, in der Angst, dass es jeden Moment auf mich stürzt, aber nichts bewegt sich. Wir einigen uns, dass wir dieses etwas beobachten werden. Es ist auch die folgenden Tage unverändert an seiner Stelle und ich erinnere mich, dass es Glück bringt im russischen Aberglauben Kakerlaken von Haus zu Haus zu bringen. Unsere ist Gott sei Dank aus Plastik und wir entspannen uns. Die echten warten erst in Odessa auf uns.

Sofia, die Verwandte in Rudolstadt hat, schließt uns spätestens nachdem wir ihr Abschiedsdalien, Tee und Süßes schenken ins Herz. Sie bringt uns zum Dank nicht nur an die nächste Straßenbahnhaltestelle, sondern fährt noch eine Station mit uns, küsst uns zum Abschied und wieder ist einer dieser herzlichen ukrainischen Momente, für die es sich lohnt, hier zu sein.

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